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„Die Mischung macht’s“ in Gelsenkirchen: Zurück zum urbanen Quartier – Gelsenkirchen-Ückendorf

16. Oktober 2017


Es ist eine Menge los an der Bochumer Straße in Gelsenkirchen-Ückendorf – eine lebendige Mischung von Jung und Alt, Deutsch und Nichtdeutsch sowie Zugezogenen und Alteingesessenen prägt das Quartier, das in der öffentlichen Berichterstattung vielfach als „No-Go-Area“ beschrieben wird. Entlang der Bochumer Straße lässt sich die ehemalige Pracht der Wohn- und Geschäftsgebäude aus der Jahrhundertwende und die Blütezeit Ückendorfs noch erahnen, aber der wirtschaftliche Niedergang ist an dem traditionell nutzungsgemischtem Quartier nicht spurlos vorbeigegangen. Nicht nur soziale Herausforderungen sind an der Tagesordnung, auch zahlreiche Gebäude stehen leer bzw. befinden sich in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Gleichwohl ist einiges im Umbruch und vermittelt ein ganz anderes Bild von Ückendorf: alte Bauten werden instand gesetzt, junge Leute nutzen Leerstände und neue Gemeinschaften entdecken das Viertel.

Foto: Stadtentwicklungsgesellschaft GK
Foto: Stadtentwicklungsgesellschaft GK
Gelsenkirchen Ückendorf, Bochumer Straße

Der Einladung des BDA Gelsenkirchen in eine ehemalige Gaststätte an der Bochumer Straße folgten rund 60 Personen, um über Strategien und Handlungsansätze der Stadterneuerung in Gelsenkirchen-Ückendorf zu diskutieren. Einen besseren Ort für die Veranstaltung hätte man kaum finden können, denn hier lässt sich einerseits der Handlungsdruck für einen Wandel in Ückendorf erahnen und andererseits wird anhand unterschiedlicher Zwischennutzungen das große Potential für die Etablierung neuer Themen im Quartier deutlich. Die eingeladenen Referenten spannten den Bogen von der Stadterneuerung in Gelsenkirchen insgesamt, über die Darstellung einzelner Impulsprojekte und Handlungsstrategien in dem so genannten Problemviertel bis hin zu einer Außensicht und der Klärung von Begriffen im Zusammenhang der vielgepriesenen „Mischung im Quartier“.

Der Veranstaltungsort: eine ehemalige Gastwirtschaft. Vorne: Thilo Steinmann, Hochbau- und Liegenschaftsamt GK

Einen Überblick über die „Daueraufgabe Stadterneuerung“ in Gelsenkirchen gab Janine Feldmann, Leiterin der Abteilung Stadterneuerung der Stadt Gelsenkirchen. Sie berichtete von den unterschiedlichen Programmen und Förderansätzen in Ückendorf bzw. im Umfeld der Bochumer Straße, mit denen seit Jahren Stadterneuerung betrieben wird. Nicht alles hätte bislang funktioniert, so z.B. konnten die Eigentümer nicht in gewünschtem Maße für ein Investment an ihren Immobilien gewonnen werden, aber die Potentiale für den Erfolg weiterer Bemühungen lägen auf der Hand: die kompakte und urbane Baustruktur sowie die räumliche Nähe zur Innenstadt. Daher hat die Stadt Gelsenkirchen neue Wege eingeschlagen und mit dem Erlass einer Sanierungssatzung sowie der Gründung einer Stadterneuerungsgesellschaft weitreichende Instrumente zur Unterstützung und Steuerung der Immobilienentwicklung in Ückendorf aufgelegt.

Janine Feldmann, Stadt Gelsenkirchen, Abteilung Stadterneuerung

Zwei der Impulsprojekte entlang der Bochumer Straße wurden vorgestellt: zum einen der Umbau der denkmalgeschützten Heilig Kreuz Kirche zu einem Veranstaltungs- und Begegnungsort. Architekt Edgar Krings (pbs architekten, Aachen) machte deutlich, welche Chancen in der angestrebten Multifunktionalität liegen, um ein breites Spektrum möglicher Nutzer aus dem Quartier und darüber hinaus zu erreichen. Zum anderen der anstehende Umbau der Glückaufschule, den Thilo Steinmann vom Hochbau- und Liegenschaftsamt der Stadt Gelsenkirchen erläuterte. Die Stadt bekam als eine von 5 Kommunen den Zuschlag in dem von der Montag Stiftung ausgelobten Wettbewerb „Inklusive Schulen planen und bauen“. Der kooperative Prozess startete mit der „Leistungsphase Null“, moderiert von einem Schulbauberatungsteam, in dem gemeinsam mit Lehrern und Verwaltung ein Nutzungskonzept erarbeitet und eine Arbeitsgruppe „Bau“ für den weiteren Prozess etabliert wurde. Im August diesen Jahres wurde das Büro Spital-Frenking+Schwarz mit der Planung und Umsetzung beauftragt, der Baubeginn ist in Mitte 2018 geplant.

Helga Sander, Geschäftsführerin Stadterneuerungsgesellschaft GK

Mit der im Jahr 2013 gegründeten Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen erfolgte  ein ganz wesentlicher Baustein in der Stadterneuerung entlang und im Umfeld der Bochumer Straße. Helga Sander, seit 2016 die Geschäftsführerin der Gesellschaft, erläuterte das Modell und berichtete von ersten konkreten Projekten: Um so genannte Problemimmobilien in Gelsenkirchen-Ückendorf aufzukaufen und sie zukunftsfähig zu entwickeln, vermarktet die Gesellschaft derzeit ein hochwertiges Wohnquartier im Gelsenkirchener Norden. Ein erstes Beispiel, das aus den Erlösen dieser Grundstücksverkäufe erzielt wurde, ist das Gebäude Bergmannstraße 5, in dem die Gesellschaft sitzt. In weiteren Immobilien werden z.B. ein studentisches Wohnprojekt, eine „Psychomotorikhalle“, Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie Räume für die Kreativwirtschaft etabliert. Für die privaten Eigentümer und Quartiersberatungen entsteht eine Art „Modellhaus“ für die beispielhafte Sanierung denkmalgeschützter Bausubstanz. Auch sie machte deutlich, dass die Entwicklung der Bauten nur in Kooperation mit anderen Akteuren funktionieren kann.

Ricarda Pätzold (DIFU) und Martin Harter, Stadtbaurat Gelsenkirchen

Ricarda Pätzold vom DIFU (Deutsches Institut für Urbanistik) berichtete mit einem Blick von außen über die Ergebnisse ihrer Studie „Nutzungsmischung und soziale Vielfalt im Stadtquartier“ , die im Auftrag des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW erarbeitet und 2015 veröffentlicht wurde. Sie hob hervor, dass Mischung ein typisches Merkzeichen von Stadt ist, aber zu differenzieren ist zwischen der „Art der Mischung“: sozial, kulturell, funktional und/oder in der städtischen Körnigkeit; hinzu kommt der Betrachtungsraum, der unterschiedliche Mischungsformen zulässt, sei es das Quartier oder die Gesamtstadt. Eine funktionierende Mischung ist nicht zu installieren, daher empfahl sie den Planenden eher den Weg, Vielfalt zu ermöglichen. Hierfür zeigte sie unterschiedliche Wege auf: die Ermöglichung beiläufiger Begegnungen, die Entwicklung von Mehrgenerationenhäusern im Quartier, die Bündelung verschiedener sozialer und kultureller Einrichtungen unter einem Dach und schließlich die Etablierung von Angeboten mit unterschiedlichen Zugangsschwellen.

An die Vorträge schloss sich eine offene Diskussion mit Stadtbaurat Martin Harter und den Referenten an, die von Yasemin Utku moderiert wurde. Hier bestand Gelegenheit, einzelne Themen der Gelsenkirchener Stadterneuerung zu vertiefen und die Handlungsoptionen für Ückendorf zu diskutieren. Es wurde deutlich, dass neue Projekte nur dann erfolgreich sind, wenn sie von und mit den Bewohnern und Nutzern entwickelt werden. In diesem Punkt war man sich einig: „Statt Mischung planen – besser Vielfalt ermöglichen“ und die Stadterneuerung in Gelsenkirchen-Ückendorf ist hier auf einem guten Weg. (Text: Yasemin Utku, Fotos: Peter Stockhausen)

Angeregte Gespräche nach der Veranstaltung