Themen

, ,

Bericht aus dem DAZ: Achtung des Bestands

5. Juli 2019

Im Dezember 2018 hatte der BDA gemeinsam mit dem Deutschen Architektur Zentrum DAZ und dieser Zeitschrift im Rahmen eines Call for Projects mit dem Titel „Ökologie und Verantwortung – Houston, we have a problem“ gefragt, wie mutiges Handeln zum klimagerechten Bauen jenseits der verordneten Alternativlosigkeit aussehen kann. Bis Ende Januar 2019 waren rund 150 Projekte eingegangen. Diese Studien, städtebaulichen Planungen und realisierten Häuser waren der Grundstock des Diskussionspanels „Architektur in Zeiten des Klimawandels“ des BDA-Tags in Halle an der Saale Ende Mai 2019 sowie der Ausgabe 3/19 von der architekt, und sie werden in einer Reihe von Gesprächen und Präsentationen im DAZ in Berlin weiterdiskutiert. Nicht zuletzt sind die Ergebnisse des Aufrufs auch in das BDA-Positionspapier „Das Haus der Erde. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land“ eingeflossen, das der BDA-Tag in Halle beschlossen hat.

Eines der zehn Postulate aus dem Positionspapier lautet: „Achtung des Bestands“. Dort heißt es: „Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Priorität kommt dem Erhalt und dem materiellen wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss. Die ‚graue Energie‘, die vom Material über den Transport bis zur Konstruktion in Bestandsgebäuden steckt, wird ein wichtiger Maßstab zur energetischen Bewertung sowohl im Planungsprozess als auch in den gesetzlichen Regularien. Wir brauchen eine neue Kultur des Pflegens und Reparierens.“

Leon Lenk
Leon Lenk
Mock-up von ‚in situ‘ im DAZ

Ebenfalls mit „Achtung des Bestands“ war eine Diskussions- und Vortragsrunde im Deutschen Architektur Zentrum DAZ im Juni überschrieben. Drei konkrete Projektbeispiele aus dem „Call“ wurden hier präsentiert, die variierten,  wie der bauliche Bestand geschützt, bewahrt und weitergedacht werden kann. Überdies stand dazu die gesamte Projektsammlung mit allen Einreichungen zur Durchsicht bereit.

Das Setting der Veranstaltung bildete eine eindrucksvolle Installation mit hohen Schauwerten im Scharoun-Saal des DAZ: Wie von einem Schnürboden in Theater abgehängt, schwebten originale Bauteile einer Fassade im Maßstab 1:1– mit einigem Abstand zueinander und perspektivisch kalkuliert angeordnet. Die gebrauchten Elemente mit ihren Nutzungsspuren waren in dieser Form nie zusammen irgendwo montiert gewesen, sie stammten vielmehr aus verschiedenen Abbruchgebäuden der Schweizer Region um Winterthur. Die Rückbauhäuser waren bei ihrer Demontage zwischen zwölf und 28 Jahre alt, hatten also noch lange nicht das Ende einer vernünftigen Lebensdauer erreicht. Dennoch wurden sie entfernt, ob wegen einer geforderten Nutzungsänderung oder auch schlicht aus Gründen der Bodenspekulation. Diese neue Zusammenstellung von Stahlstruktur, Trapezblechen, Dämmung, Fensterelementen und anderen Bauteilen war ein Mock-Up des Baubüros in situ aus Zürich/Basel, das damit sein Bauvorhaben „Halle 118 Kopfbau“ illustrierte, das in Winterthur für eine Pensionskasse als Bauherr errichtet wird – weitgehend aus wiederverwendeten Bauteilen. Der Architekt Pascal Hentschel von in situ erläuterte die Vorgehensweise beim Bauen mit Bestandselementen: „Der Entwurf folgt der Idee der Bricolage, nicht primär als Ausdruck verstanden, sondern als Verfahren: Es ist mit dem auszukommen, was zur Hand ist.“ Und: Es gilt das Prinzip „rückwärts planen“: Der Entwurfsprozess bestimmt sich durch die zum jeweiligen Zeitpunkt geborgenen und eingelagerten Elemente – oder als Slogan formuliert: „Form follows availability“. Hentschel bezeichnete die Aufgabe zur Erlangung des Materials als „Bauteile jagen!“, was allerdings nach dem „Prinzip Absahnen“ funktioniere: „Es wird nur genommen, was nötig ist.“

Der Architekt Nils Nolting vom Hannoveraner Büro Cityförster zeigte ein vergleichbares Projekt: das Recyclinghaus Hannover im Stadtteil Kronsberg – ein experimentelles Wohnhaus, das ebenfalls aus weitgehend recycelten oder recyclingfähigen Baustoffen errichtet wurde. Auftraggeber war ein örtliches Bauunternehmen, das für diesen PR-trächtigen Prototyp ein als Experimental- und Forschungsprojekt deklariertes Wettbewerbsverfahren ausgelobt hatte. Auch hier wurde der Entwurf durch die Verfügbarkeit des Materials – aus den Beständen des Bauherrn stammend oder lokal erworben – determiniert.

Praeger Richter Architekten
Praeger Richter Architekten
Thermohaus Guben, Praeger Richter Architekten

Schließlich  das Thermohaus Guben von Praeger Richter Architekten mit einem „Haus im Haus“-Konzept: Eine neue Klimahülle aus Polycarbonat wurde, ganz in der Manier von Lacaton Vassal, über ein kleines Siedlungshaus gestülpt, um den baulichen Bestand zu bewahren und zu erweitern.

Angesichts einer unfassbar hohen Menge an Baustoffen und Bauabfällen, die bei Abriss und Rückbau derzeit noch entstehen, waren diese Beispiele vor allem auch auch Mutmacher: dass es auch anders geht, als Schutt zu deponieren oder lediglich stofflich zu recyceln. Gleichwohl warfen die Beispiele auch Fragen auf.

Zunächst hat sich erwiesen, dass die Datenlage zu den Eigenschaften der wiederverwendeten Bauteile ganz entscheidend ist, da nur solche Bauten genehmigungsfähig sind, deren Teile „bekannt“ sind. Besonders hilfreich ist es, wenn noch Pläne und Akten aus der Erbauungszeit der demontierten Gebäude greifbar und somit die Produkteigenschaften dokumentiert sind. Im anderen Fall müssen die Bauteile vor einer Entscheidung zu ihrer möglichen Wiederverwendung ausgebaut und in Einzelverfahren getestet werden – ein Aufwand, der das Vorgehen unwirtschaftlich machen kann.

Überhaupt die Verfügbarkeit: Was nützen dezentrale, liebevoll gepflegte Bauteillager, wenn deren Bestand nicht verfügbar, nicht von außen einsehbar ist? Die Antwort wären natürlich netzbasierte Bauteildatenbanken, wie es sie bereits in Ansätzen gibt. Das belgische Büro Rotor, Träger des diesjährigen Schellingpreises, unterhält eine solche Datenbank. In der Schweiz gibt es drei solche „Bauteilnetze“. Und auch eine Bauteilbörse in Deutschland existiert, aber wie Nils Nolting anmerkt, ohne Nachweise des deutschen Baurechts. Wenn es eine Erkenntnis und Handlungsoption aus diesem Abend im DAZ gibt, dann den Hinweis auf die Notwendigkeit einer möglichst umfassenden Bauteildatenbank nach „genormten“ Beschreibungsstandards. Am Aufbau und der Pflege müssten vor allem auch Abbruchunternehmen beteiligt werden, die dafür natürlich einen Anreiz in Form von Bezahlung für geborgene und weitervermittelte Elemente bekommen müssten.

Und am Ende bleibt die Frage der Ästhetik: Gerade das Recyclinghaus aus Hannover kann auch als Puppenstube, als Material-Setzkasten mit zum Teil skurrilen Details gelesen werden. Natürlich darf und soll sich eine völlig andere Entwurfsmethodik auch in der Ästhetik des Ergebnisses abzeichnen. Aber zur Architektur gehört neben der Festigkeit und Nützlichkeit eben auch die Schönheit.

Benedikt Hotze