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BDA-Ehrenmitgliedschaft an Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal

9. September 2019

Till Budde
Till Budde
Jean-Philippe Vassal, Anne Lacaton, Heiner Farwick

„Fast nicht bauen“ ist eine der Handlungsanweisungen, die sich das französische Architektenduo Lacaton & Vassal selbst gegeben hat. Oder: „Mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung erzielen“. In einem furiosen Vortrag haben die beiden Anfang September einen vollen Saal im Deutschen Architektur Zentrum DAZ fasziniert. Anlass war die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des BDA an Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal. Nach Tina Saaby und Werner Durth war es die dritte Verleihung in diesem Jahr. Der scheidende BDA-Präsident Heiner Farwick brachte in seinem Grußwort die Gründe für die Ehrung vor: „…um Ihre Verdienste in der Architektur, der Forschung, der Lehre und – um es so auszudrücken – der angewandten Sozialarbeit zu würdigen.“ Farwick fuhr fort: „Generell sind Lacaton und Vassal Architekten, die sich früh die Frage gestellt haben, wie die Architektur auf die sich verändernde Welt reagieren kann, ja muss. Nicht der ‚schöne‘ Entwurf steht dabei im Vordergrund; am Anfang steht vielmehr der Prozess, die Analyse, die Erforschung des Vorhandenen und seines sozialen Gefüges.“

Nach der Übergabe der Verleihungsurkunde kamen die frisch Geehrten selbst zu Wort: Unter dem Titel „Inhabiting, Pleasure and Luxury for Everyone“ stellten Sie zuerst ihre Kategorien wie „Bestand“, „Präzision“, „Bewohnen“, Gebrauch“ oder „Innenraum“ vor. Dann fädelten sie ihre Projekte an ihren Maximen auf – Maximen wie „Böden wie Grundstücke“ (der freie Innenraum!), „Baue doppelt“ (mehr Platz fürs gleiche Geld!) oder eben auch das genannte „Fast nicht bauen“. Sehr charmant die Rollenverteilung: Während Jean-Philippe Vassal die Wohnungsbauten durchdeklinierte, folgte Anne Lacaton dann – unter nochmaliger Nennung derselben Maximen – mit den öffentlichen Bauaufgaben wie der Architekturschule in Nantes oder der „verdoppelten“ Schiffshalle für ein Kunstmuseum in Nordfrankreich.

Der minimalistische Ansatz der Bauvermeidung passt gut zu den aktuellen Positionen des BDA. Schon 2018 in Hamburg war gefordert worden, dass jeder Neubau seine „unabdingbare Notwendigkeit“ unter Beweis stellen müsse. Und 2019 in Halle wurde postuliert, dass „dem Erhalt und dem materiellen wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden“ Priorität zukomme und nicht dessen leichtfertigem Abriss.

Für Lacaton und Vassal, die an der ETH Zürich und an der Universität der Künste in Berlin je einen Lehrstuhl innehaben, war der Abend im DAZ ein Heimspiel: Das Publikum betrachtete das Duo als Wegweisende zu alternativen Planungskulturen.  In der anschließenden Diskussion ging es vor allem darum, wie sich die Energie und das Engagement Studierender ins Berufsleben herüberretten lassen angesichts einer Realität, „in der öffentliche Bauherren gerade dabei sind, zu verschwinden“, wie Vassal konstatierte. Wenn Bauen nur noch dazu diene, „mehr Profit zu machen“, dann kämen die Linien der Architekten mit denen der Auftraggeber eben nicht zusammen. „Die Städte wollen alle ‚öko‘, aber sie räumen den Entwicklern Bedingungen ein, die zum exakten Gegenteil führen“. Um dann, an den Nachwuchs gerichtet, zu appellieren: „Es liegt an euch, eure Träume zu entwickeln!“

Benedikt Hotze

Die Laudatio im Wortlaut:

Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal haben den Luxus des Raums mit einem Minimum an Aufwand und Budget perfektioniert. Damit haben sie entscheidende Impulse zur Abkehr von der bisher herrschenden Wachstums- sowie Abriss- und Neubaumentalität gesetzt. Was zunächst hauptsächlich mit Kosteneffizienz und der Bewahrung sozialer Nachbarschaften begründet wurde, erhält mit der Notwendigkeit zu klimaschonendem Bauen noch eine weitere, mindestens ebenso wichtige Dimension.

Die Haltung der Architekten Lacaton & Vassal im Umgang mit Wohnbauten der Nachkriegsmoderne lautet: „Niemals abreißen, abbauen oder ersetzen, immer erweitern, ändern und neu verwenden!“ In ihrer Studie „Plus“ haben sie nachgewiesen, dass man für den Preis des Abrisses und Neubaus einer Wohnung drei bis vier bestehende Wohnungen sanieren und aufwerten kann. Umgesetzt haben sie dieses Prinzip dann zuerst bei dem weltweit beachteten Projekt Tour Bois-le-Prêtre in Paris und in der Folge in mehreren größeren und kleineren Um- und Neubauprojekten.

Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal erhalten aufgrund ihrer Verdienste für das ökologische, soziale und kostenbewusste Bauen und Umbauen die Ehrenmitgliedschaft des BDA.