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„Es gibt keinen perfekten Zeitpunkt“ – Interview mit Tatjana Sabljo und Dilek Ruf

13. Dezember 2019

Die Architektinnen Dilek Ruf und Tatjana Sabljo aus Hannover über die Gründung eines Architekturbüros – und über die Herausforderung, Beruf und Familie zu vereinbaren

Ein Interview von Lars Menz / Redaktion Deutsches Architektenblatt DABregional Niedersachsen 12/2019

DAB: Frau Ruf, Frau Sabljo, wir wollen über Frauen im Architekturberuf sprechen. Ist das überhaupt ein Thema für Sie?

Tatjana Sabljo: Der wichtigste Preis der Architektur, der Pritzker-Preis, der seit über vierzig Jahren jährlich verliehen wird, ging bisher an 46 großartige Architekten: davon sind 43 Männer. Bis sich diese und eine Vielzahl ähnlicher Zahlen nicht angleichen, ist es definitiv ein Thema.

Dilek Ruf: Aus meiner Wahrnehmung hat es jedoch weder für meine Auftraggeber noch meine Mitarbeiter noch sonstige Beteiligte eine nachhaltige Relevanz, dass ich als Frau einem Büro vorstehe.

Aber ist es nicht noch immer ungewöhnlich, dass eine Frau ein großes Büro leitet?

Ruf: Das mag eine Rolle spielen. Die Entscheidung für eine Zusammenarbeit – ob seitens eines Auftraggebers oder eines Mitarbeiters – basiert nicht nur auf objektiven, sondern auch auf weichen, nicht messbaren Faktoren. Insofern ist für den ein oder anderen möglicherweise das Kriterium „Frau als Chefin“ ein Thema, nicht jedoch für die große Mehrheit.

Sie haben sich beide mit eigenen Büros selbstständig gemacht. War das schon immer Ihr Wunsch?

Sabljo: Ganz klar: ja. Architektur war zu keinem Zeitpunkt nur ein Beruf, immer eine Berufung. Mit dieser Haltung zu meiner Arbeit ist die Selbstständigkeit der perfekte Rahmen. Mit Irina Kresic traf ich meine Partnerin in crime und das Vorhaben Bürogründung war perfekt.

Machen sich Frauen anders selbstständig als Männer?

Ruf: Die Mechanismen und Fragestellungen einer Unternehmensgründung – bezogen rein auf unsere Branche – sind für Frauen wie Männer vergleichbar.

Dennoch gründen Frauen seltener ein Architekturbüro als Männer.

Ruf: Richtig. Selbstständigkeit scheint offenbar bei Männern ganz unabhängig von der Branche präsenter als bei Frauen zu sein. Nur etwa acht Prozent aller berufstätigen Frauen gründen ein Unternehmen, diese verbleiben zu 84 Prozent als sogenannte Solo-Selbstständige. Frauen gründen laut verschiedener Studien risikoscheuer – und somit seltener.

Was kann man tun?

Sabljo: Es bedarf, denke ich, an Beispielen, an vielen guten Beispielen, an Biografien von Architektinnen, die Wege aufzeigen und Erfolgsstrategien identifizieren.

Wo liegen bei der Bürogründung für Frauen die größten Herausforderungen?

Sabljo: Größte Herausforderung ist sowohl für Männer als auch für Frauen die Gewinnung von Aufträgen. Netzwerken spielt hierfür mehr denn je eine entscheidende Rolle. Viele bestehende etablierte Netzwerke sind für Frauen aber deutlich schwerer zugänglich. Und Netzwerken bedarf einer vor allem für Mütter knappen Ressource: Zeit.

Ruf: Vereinbarkeit und verfügbare Zeit für die Familie sind meines Erachtens wesentliche Themen, sich gegen eine Selbstständigkeit zu entscheiden. In der Regel tritt die Frau mit Gründung einer Familie beruflich zurück. Das ist ein legitimes Familienmodell, das ich respektiere, mit den entsprechenden beruflichen Konsequenzen – denn an den Fähigkeiten der Frauen liegt es de facto nicht.

Kommt Frauen die Familiengründung in die Quere?

Ruf: Die Entscheidung für eine Selbstständigkeit fällt einfach meist mit der Familiengründung zusammen – so wie es auch bei mir war. Fakt ist, dass unabhängig davon, ob man selbstständig oder in einem Unternehmen in der Führungsetage tätig sein will, eine große Bereitschaft vorhanden sein muss, sich intensiv auf diesen Weg einzulassen – mit der Konsequenz, dass die Zeit für die Familie limitierter ist.

Sabljo: Meinen Beruf als Architektin leidenschaftlich und verantwortungsbewusst auszuführen, dabei gleichzeitig auch den Ansprüchen des Familienlebens gerecht zu werden, ist tagtäglich eine Herausforderung. Die entscheidendste Unterstützung erhalte ich persönlich aus meinem familiären Umfeld und aus einem sehr loyalen sozialen Netzwerk. Ohne geht es nicht.

Ruf: Wir müssen anerkennen: Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Es gibt keinen perfekten Zeitpunkt: Gründung und Familienplanung fallen nun mal in der Regel zusammen.

Inwieweit wirken noch tradierte Rollenbilder?

Ruf: Sicherlich nehmen die geringere Sichtbarkeit alternierender Modelle Einfluss auf die Entscheidung von Frauen gegen eine Selbstständigkeit. Und viele Frauen bzw. Paare beantworten diese Fragen aus Überzeugung für sich eben anders als ich es getan habe.

Sabljo: Die Strukturen in unserer Gesellschaft sind noch immer von der sozialen Geschlechterhierarchie geprägt. Es ist umso wichtiger, sich keinen Klischees hinzugeben, sondern auf sein eigenes Potenzial und Können, das geschlechterunabhängig ist, zu vertrauen und selbstbewusst auszubauen.

Ruf: Ja, aber ich glaube, dass es gut ist, Dinge nicht zu verklären. Sich beruflich übermäßig zu engagieren, ist nicht der Wunsch einer jeden Frau – und das ist auch in Ordnung. Und: Kinder werden groß, Menschen verändern sich, der Schritt in die Selbstständigkeit aber ist ab einem gewissen Zeitpunkt deutlich schwieriger.

Was kann die Kammer tun, um Frauen besser zu unterstützen?

Sabljo: Junge Architektinnen und Architekten sollten ermutigt werden, ihr eigenes Büro zu gründen und vor allem in den ersten schwierigen Jahren von der Kammer besonders unterstützt werden. Der offene Wettbewerb bleibt nach wie vor die wichtigste Möglichkeit für junge Architektinnen und Architekten, um an große öffentliche Aufträge zu kommen.

Ruf: Im BDA diskutieren wir aktuell in unserem Vorstand den Aufbau eines Mentorenprogramms – für junge Architekten ebenso wie für Architektinnen.

Sehen Sie in Ihrem berufspolitischen Engagement Unterschiede zwischen Mann und Frau?

Ruf: Nein. Wir haben viele engagierte Kolleginnen innerhalb des BDA. Leider spiegelt sich aber auch bei den Mitgliederzahlen – wir haben einen Frauenanteil von ca. 10 Prozent –, dass es vergleichsweise wenige selbstständige Architektinnen gibt, die sich dann folglich berufspolitisch innerhalb des BDA engagieren könnten. Aber den Prozess in die Selbstständigkeit auf verschiedenen Ebenen zu unterstützen – ob als Kammer oder BDA –, darin sehe ich unsere gemeinsame Aufgabe.

Was raten Sie denn jungen Architektinnen?

Ruf: Architektin zu sein ist sehr erfüllend, Kinder zu haben unersetzlich – es muss keine Entweder-Oder-Entscheidung werden. Meine Kinder beklagen sich gelegentlich, aber sie nehmen auch zur Kenntnis, was wir als Büro leisten, und sie sind insgesamt zufriedene, offene Kinder mit all ihren Facetten; das Bild der Rabenmutter verschwindet nach und nach glücklicherweise aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis.

Sabljo: Ich kann hier nur aus dem Baumeister zitieren, dort stand im August 2017: „Es wird die Aufgabe der zahlreichen jungen Frauen sein, die heute Architektur studieren und in die entsprechenden Berufe drängen, neue Strategien zu entwickeln, die ihnen einen Platz in der Welt der Architektur sichern – Strategien, so ist zu hoffen, die sich nicht mehr auf den Kampf gegen überholte Geschlechtervorstellungen und deren Umgehung konzentrieren, sondern die es ihnen erlauben, ihr kreatives Potenzial ohne Behinderung durch Diskriminierung voll zu entfalten.“

Wie organisieren Sie in Ihrem Büro die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Ruf: Bezogen auf meine Situation ist die Vereinbarkeit nur möglich aus der Kombination partnerschaftlicher und familiärer Unterstützung einer sehr liebevollen Kinderfrau und flexibler Haushaltshilfe. Die Struktur bietet unseren Kindern einen verlässlichen Rahmen und die notwendige Stabilität im Alltag. Phasenweise ist die Intensität dennoch sehr hoch und fordert ihnen viel Verständnis ab.

Das geht sicher vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen ähnlich. Reagieren die Büros hierauf ausreichend?

Ruf: Der Wille, die Vereinbarkeit zu ermöglichen, ist bei vielen Architekturbüros groß. Flexible Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit oder Homeoffice sind bei uns wie auch in anderen Architekturbüros in gewissen Rahmen fest verankert.

Müssten sich dennoch gesetzliche Rahmenbedingungen verändern?

Ruf: Gesetzliche Rahmenbedingungen sind meines Erachtens nicht unbedingt das entscheidende Defizit; da hat sich in den letzten 10 Jahren sehr viel bewegt. Ein wesentlicher politischer Meilenstein war sicherlich der rechtliche Anspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige und die Einführung des Elterngeldes.

Frau Sabljo, Sie wurden gerade gemeinsam mit Ihrer Büropartnerin Irina Kresic mit dem Preis der Stadt Hannover „Frauen machen Standort“ ausgezeichnet. Auch hierbei ging es um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was genau haben Sie gemacht?

Sabljo: Wir haben unter anderem eine Personal- und Projektplanungs-Software für uns entwickelt, die die Jury, und darüber freuen wir uns sehr, überzeugte. Es ist für Büros nicht einfach, die täglichen Aufgaben und die berechtigten Ansprüche der Mitarbeiter unter einen Hut zu bekommen. Ich selbst muss ab und an mein Kind mit zum Termin oder auf die Baustelle mit-nehmen. Wir organisieren uns im Büro so, dass je nach persönlicher Lebenslage und Familiensituation Arbeitszeiten reduziert oder wieder erhöht werden können. Homeoffice ist bei Bedarf möglich, so wie das Kind im Ausnahmefall mit ins Büro zu bringen. Wichtig war uns, dass niemand, der vorher Projektleiter war, durch eine veränderte familiäre Situation plötzlich in die Rolle eines Zuarbeiters rutscht.

Jetzt sind wir schon am Ende unseres Gesprächs, aber ein Schlusswort fehlt noch.

Ruf: Dann versuche ich es: Wenn man sich für den Weg in die Selbstständigkeit entscheidet, wird dieser weder geradlinig sein noch ist der Verlauf vorprogrammiert; er erfordert hohen persönlichen Einsatz und ist verbunden mit Chancen wie Risiken, Freiheiten wie Einschränkungen; das gilt für Männer wie für Frauen.

Das Gespräch führte Lars Menz mit den beiden Architektinnen. Es ist zuerst in der Dezemberausgabe des Deutschen Architektenblattes (DABregional Niedersachsen 12/2019) erschienen. Das PDF als Download finden Sie hier oder unter Downloads unten auf der Seite.

Foto: Julian Martitz
Foto: Julian Martitz
Tatjana Sabljo wurde 1975 geboren und hat ein Kind. Sie studierte Architektur an der Leibniz Universität Hannover und arbeitete bei verschiedenen Architekturbüros  bevor sie 2009 das Büro KEFERSTEIN+ SABLJO Architekten in Hannover gründete. Sie arbeitet als Lehrbeauftragte an der Leibniz Universität und der Hochschule Hannover. Außerdem ist sie Vorstandsmitglied der BDA Bezirksgruppe Hannover.

 

Foto: Julian Martitz
Foto: Julian Martitz
Dilek Ruf wurde 1974 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie studierte Architektur in Darmstadt und gründete 2006 MMZ Architekten Hannover. 2012 folgte die Gründung von BBU.PROJEKT  ARCHITEKTEN BDA.  Bereits 2010 erfolgte die Berufung in den BDA Niedersachsen. Seit 2015 ist sie Vorstandsmitglied der BDA Bezirksgruppe Hannover und seit 2019 dessen Vorsitzende. Zudem engagiert sie sich im Beirat zur Kulturhauptstadtbewerbung von Hannover und im Beirat zur Stadtgestaltung in Bielefeld.

 

 

 

 

 

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