Themen

, , ,

EUROPAN 15: Zwei Siegerentwürfe fürs Bergische und wie es weiter geht.

1. April 2020

Seit Dezember 2019 ist klar, der erste Preis des EUROPAN 15 Wettbewerbs wurde gleich zweimal vergeben: Ausgezeichnet wurden die Arbeiten „Bergisch Plugin“ , eingereicht von einer Gruppe von vier jungen Stadtplanern und Architekt(inn)en Nicolai Werner, Vassilissa Airaudo, Daniel Brancherau und Moritz Scharwäscher, Absolventen der Universität Wuppertal und das Konzept „The Productive Region“ von Marc Rieser, Städtebau-Absolvent der Technischen Hochschule Köln und im Bergischen Land verwurzelt.

In der Begründung der internationalen Jury für die Arbeit „Bergisch Plugin“ heißt es „Die neun vorgeschlagenen Prinzipien eignen sich ebenso für die Weiterentwicklung des Bestandes wie für den Neubau. Sie sind klar beschrieben und in Systemskizzen so abgeleitet, dass sie verständlich und anpassungsfähig sind. (…) Trotz der Anwendung in unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten ist erkennbar, dass sie mit den heutigen Herausforderungen der Ökologie, Dichte, Mischnutzung, Mobilität und Gestaltqualität gerecht werden. Die Auseinandersetzung mit dem innerstädtischem Grün sowie der Gestaltung des öffentlichen Raumes in seiner Vielschichtigkeit führt zu einem verbesserten städtebaulichen Ganzen. (…) Der Bestand (Denkmal oder Bestandsensemble) als ein die Identität des Ortes stärkendes Element wird zur Stabilisierung des Umbruchs genutzt.“

Bei der Arbeit „The Productive Region“ überzeugte „die Erarbeitung einer ganzheitlichen Planungsstrategie ausgehend von den Europan 15-Themen: ökologische Ressourcen, neue Mobilität und Fairness in Verbindung mit einem regionalen gemeinschaftlichen Ansatz für die Bergische Kooperation, der individuell auf lokale Qualitäten und Potenziale der verschiedenen Standorte reagiert. (…) Die Strategie für die Region ist als logisches und tragfähiges Konzept aufgebaut, das von übergreifenden Leitbildern ausgehend einen Instrumentenkoffer zu den Themen Raum, Nutzung, Ökologie und Mobilität anbietet. (…) Der Arbeit gelingt es, die regionale Strategie auf unterschiedliche lokale Situationen planerisch anzuwenden und daraus konkrete, städtebaulich tragfähige Konzepte zu entwickeln, die vielseitige räumliche Angebote schaffen. Das System aus Nachbarschafts- und Quartierszentren ist ein guter Beitrag zu ressourcensparenden gemeinschaftlichen Nutzungen.“

Marc Rieser
Marc Rieser
Siegerentwurf „The Productive Region“ von Marc Rieser für EUROPAN 15

 

Marc Rieser
Marc Rieser
Detail des Entwurfs von M. Rieser

 

Die einzelnen Ergebnisse im Detail können hier abgerufen werden.

Wir haben erneut mit den Stadtplanern der jeweiligen Städte gesprochen, sie nach ihren Erfahrungen mit dem Wettbewerb gefragt und danach, wie die Ideen in die künftige Stadtentwicklung miteinfließen. Von Christof Gemeiner, Vorstand des BDA Bergisch-Land und Mitglied der Regionalen Jury wollten wir mehr über die Resonanz auf den europaweiten Wettbewerb und die Qualität der eingereichten Arbeiten erfahren.

BDA: Ziehen Sie ein Fazit: Hat sich die Beteiligung am EUROPAN Wettbewerb gelohnt?

Carsten Zimmermann, Abteilungsleiter Strategische Planung, Solingen:  Ja, die Teilnahme hat sich natürlich gelohnt. Dadurch haben wir frische und interessante Ideen erhalten, um das Grossmann-Gelände weiterzuentwickeln. Die Stadt Solingen strebt dafür eine Nachnutzung an, die Gewerbe und Wohnen in einem guten Mix miteinander verbindet – wobei der Fokus auf Gewerbe liegt. Von den Entwürfen des Wettbewerbs können wir aber auch über die Entwicklung des Grossmann-Geländes hinaus profitieren, weil sie systemische Ansätze liefern, die auch auf andere Standorte übertragbar scheinen. Die Erwartungen, die wir mit dem Format verbunden haben, haben sich erfüllt. Denn in der Region beschäftigen uns sehr ähnliche Fragestellungen. Somit können die einzelnen Städte aus den Lösungsvorschlägen alle ihren Nutzen ziehen. Wir haben hilfreiche Hinweise erhalten, was für eine Quartiersentwicklung in Zukunft wichtig wird, wie sie sich gestalten kann. Darüber hinaus rücken die teilnehmenden Städte durch die Zusammenarbeit enger zusammen, das hilft auch bei anderen Themen, bei denen wir nicht im Alleingang vorankommen.
Mit dem Grossmann-Gelände hat Solingen einen sehr interessanten Standort in den Wettbewerb gegeben, so dass dazu viele Entwürfe vorgelegt wurden. Insofern hat Solingen vermutlich stärker vom Wettbewerb profitiert als andere Städte. Dennoch sind diese Impulse auch für diese Teilnehmer nützlich, weil sich Ideen und Ansätze auf andere Projekte übertragen lassen – und das nicht nur in den vier teilnehmenden Kommunen, sondern auch im gesamten Kooperationsraum mit insgesamt 20 Gebietskörperschaften.

Peter Stuhlträger, Baudezernent Hilden: Der Wettbewerb hat sich nach meiner Ansicht auf unterschiedlichen Ebenen für die Stadt Hilden gelohnt. Die Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Städten hat das Verständnis sowie das Vertrauen in das Miteinander gestärkt. Die beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben im Projekt neue Perspektiven kennengelernt und z.B. auch den Flair einer internationalen und fachlich sehr gut aufgestellten Konferenz erlebt. Sie konnten erfahren, dass die „kleine“ Stadt Hilden im Vergleich zu den anderen – auch international bedeutsamen – Großstädten gut aufgestellt ist.
Inhaltlich ist festzustellen: Nicht nur aufgrund des EUROPAN-Projekts, aber auch deshalb haben sich Investoren und Eigentümer von einzelnen Grundstücken im Hildener Planungsprojekt zusammengesetzt und wollen einen Anlauf unternehmen, bisher untergenutzte Flächen gemeinsam zu entwickeln. Hierbei wollen sie auch einzelne Ideen der jungen Planerinnen und Planer der Wettbewerbsbeiträge aufnehmen.

Dr. Stefan Holl, Leiter Planungsamt Wülfrath: Für eine kleine Stadt wie Wülfrath ist die Bergische Kooperation sehr hilfreich. Die Teilnahme am EUROPAN-15-Wettbewerb hat diese weiter gestärkt. Im Hintergrund bilden sich Strukturen aus, zukünftig noch intensiver zusammenzuarbeiten. Die „Bergische Kooperation“ und EUROPAN 15 waren gut organisiert, da gibt es aus meiner Sicht nichts zu verbessern. Der Wettbewerb als Ganzes ist gut, um Denkanstöße zu erhalten.

Frank Boberg, Abteilungsleiter für Stadtplanung, Ratingen: Einerseits nein, weil die Beteiligung eher gering war, es wurden nur insgesamt sieben Arbeiten eingereicht. Der Focus war dabei weniger auf Ratingen gerichtet. In der Vertiefung wurden eher die anderen Stadtorte Hilden und Solingen bevorzugt. Das Positive am Wettbewerb ist aber: Wir können viele Ideen und Anregungen aus den beiden Siegerentwürfen für die Entwicklung der Flächen ziehen. Und der Zusammenschluss der Bergischen Kooperation ist sehr gut gelaufen und wird sich sicher in weiteren gemeinsamen Projekten niederschlagen. Ich denke, der EUROPAN Wettbewerb steckt in einer Krise. Ich kenne ihn schon seit circa 20 Jahren. Früher war die Teilnahme der jungen Architekten eine Zusatzqualifikation auf dem Weg zur Festanstellung. Heute gehen die Studierenden sofort in den Job. Die beiden Siegerentwürfe sind z.B. Masterarbeiten. Wenn wir uns als Stadt allein beworben und keine Landesmittel bekommen hätten, wären 130.000 Euro Wettbewerbskosten entstanden, ein hoher Betrag vor dem Hintergrund, dass nur Ideen zu erwarten sind und nichts konkret Umsetzbares. Die Veranstalter in Berlin haben das auch verstanden, die künftige neue Geschäftsführung sieht auch Reformbedarf.

BDA: Sie waren Mitglied der regionalen Jury. Teilen Sie die Kritik?

Christof Gemeiner, BDA Architekt und Vorstand des BDA BL: Die geringe Beteiligung ist tatsächlich dem Aufschwung des Berufsstandes geschuldet. Absolventen haben schnell feste Anstellungen und für die Beteiligung an so einem Wettbewerb gar keine Zeit. Deswegen ist die Teilnehmerzahl gering. Das ist aber gar nicht so entscheidend. Ich kenne das von anderen Wettbewerben. Bei zum Beispiel 30 Einreichungen sind 25 schlechte Arbeiten dabei und fünf gute. Es gibt einfach wenig sehr gute Arbeiten. Von daher ist mir die Teilnehmerzahl relativ egal.

BDA: War der Anspruch der Bergischen Kooperation zu hoch?

Christof Gemeiner: Das war schon eine sehr komplexe Aufgabe, das ist auch für gestandene Architekten nicht einfach zu lösen. Vielleicht müsste man den Wettbewerb auch dahingehend verändern, indem man genauer definiert, was man will. Will ich eine rein konzeptionelle Arbeit, eine Ideensammlung, wo dann die Anpassung an den Gebäudebestand gar nicht so sehr im Vordergrund steht oder will ich einen Hochbau ähnlichen Wettbewerb, wo es dann auch konkret um Grundrisse geht. Das konnte man im aktuellen Wettbewerb auch sehen, das Niveau der Durcharbeitung war einfach sehr unterschiedlich. Manche kratzten nur mit einer Idee an der Oberfläche, andere haben ihre Idee sehr detailliert ausgearbeitet. Das macht es zum einem schwer vergleichbar, zum anderen schafft das eine gewisse Unzufriedenheit, weil man eigentlich Äpfel mit Birnen vergleicht.

BDA: Der Ansatz von EUROPAN sind aber gerade Visionen, und weniger deren konkrete Umsetzbarkeit.

Christof Gemeiner: Das stimmt. Den Ansatz finde ich auch viel wichtiger. Es sollte eine möglichst vorausschauende, visionäre Ideensammlung bleiben. Mir ist eine starke Idee, die an der Oberfläche bleibt lieber als ein tief detaillierter, aber schlechter Plan für einen Wohnkomplex.

BDA: Wie geht es jetzt in den Städten weiter?

Frank Boberg, Ratingen: Herrn Rieser hatten wir eingeladen, und er hat uns seine gesamte Masterarbeit vorgestellt. Er ist heute angestellt in einem Architektenbüro in Köln, mit dem wir eine Zusammenarbeit planen. Das aber ist purer Zufall. Die beiden Siegerentwürfe haben unterschiedliche Entwicklungsansätze. Die Gruppe der Studierenden aus Wuppertal haben ein räumliches Konzept eingereicht. Rieser ist eher qualitativ an die Arbeit herangegangen mit Schwerpunkt Zukunftsthemen.

Dr. Stefan Holl, Wülfrath: Für die Fläche, mit der Wülfrath ins Rennen gegangen ist, wird durch die Bezirksregierung Düsseldorf derzeit im Rahmen der ersten Änderung des Regionalplans Düsseldorf eine Ausweisung als Allgemeiner Siedlungsbereich geprüft. Das ist eine Entwicklung, die parallel zum EUROPAN Verfahren lief. Für uns sind alle Ideen, die im Rahmen des EUROPAN Wettbewerbs abgegeben wurden – nicht nur die beiden Siegerentwürfe – wertvolle Anregungen für den Stadtteil Düssel, aber auch ganz allgemein für unsere Stadtplanung, die Flächenentwicklung und die Frage, wie Wohnen und Arbeiten unter Berücksichtigung der Aspekte Arten- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Mobilität in Zukunft gestaltet werden kann.

Peter Stuhlträger, Hilden: EUROPAN Deutschland bietet noch als Teil des Projekts ein Planungs-Workshop mit den Preisträger/innen und den beteiligten Städten an, um die Ideen der Planerinnen und Planer mit der Praxis zu verbinden. Die Diskussion verspricht erfrischend zu werden – jedenfalls deutete sich das in den Gesprächen an, die ich am Rande der Preisverleihung in Berlin mit den jungen Preisträgerinnen und Preisträgern führen konnte. Doch wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass die Preisträgerentwürfe realisierungsfähig sind. Sicherlich wäre z.B. städtebaulich der Platz als neuer sozialer Treffpunkt und die Durchlässigkeit als mögliche Alternative für Fußgänger schön. In Hilden haben wir den vergleichbaren Versuch, einen neuen Quartiersplatz zu implementieren und dadurch das Quartier erheblich aufzuwerten, in ähnlicher Lage vor Jahren bereits durchgeführt und gebaut. Leider wenig erfolgreich.

BDA: Werden die EUROPAN-Ideen auch in Richtung Stadtpolitik kommuniziert?

Frank Boberg, Ratingen: Auf der Agenda des Stadtentwicklungsausschusses stehen die Wettbewerbsergebnisse noch nicht, weil wir seitens der Politik keine voreiligen Erwartungshaltungen wecken wollen. Vor einem Jahr gab es bereits Gespräche mit den Grundstücksbesitzern, die sehr positiv waren. Zwischenzeitlich wurden Entwickler tätig, ein Schlüsselgrundstück ist auch verkauft worden. Die Stadt hat sich an anderen in Frage kommenden Grundstücken das Vorkaufsrecht gesichert.

Peter Stuhlträger, Hilden: Das EUROPAN-Projekt hat auch dazu beigetragen, dass einige Grundstückseigentümer und potentielle Investoren ins Gespräch miteinander kommen. Es ist Aufgabe der Stadt, aus den sich dadurch ergebenden Puzzle-Teilen Schritt für Schritt langfristig ein Ganzes zu machen. Dass das gelingt, bin ich zuversichtlich. Im Stadtentwicklungsausschuss ist der Bericht zu den Ergebnissen zur Kenntnis genommen worden. Der gleichzeitig zur Beratung gestellte Antrag zur Einleitung eines Planverfahrens für die Grundstücke unmittelbar an der Einmündung Bahnhofsallee / Benrather Straße wurde zunächst vertagt. Aber festzuhalten bleibt: Wir sind wieder im Gespräch. Nun hat der Rat bzw. der Ausschuss das Wort. Ich hoffe, dass er den Weg der Puzzle-Teile mitgeht.

Gruppe "Bergisch-Plugin"
Gruppe "Bergisch-Plugin"
Entwurfsdetail Gruppe „Bergisch-Plugin“

BDA: Das Grossmann-Gelände in Solingen-Wald wurde inzwischen verkauft. Wird Solingen im Hinblick auf die Entwicklung dort dem neuen Besitzer die EUROPAN-Ideen schmackhaft machen?  

Carsten Zimmermann, Solingen: Die Ergebnisse des Wettbewerbs werden wir dem neuen Eigentümer des Grossmann-Geländes auf jeden Fall zur Verfügung stellen. Und wir schauen uns an, welche Vorstellungen der Eigentümer für das Areal hat. Dann werden wir sehen, inwieweit sich Konzepte vereinbaren lassen. Für uns ist bei der Aufstellung des Bebauungsplans klar, dass wir auf jeden Fall Wert auf einen hohen gewerblichen Anteil legen werden. Die Tatsache, dass es jetzt einen neuen Eigentümer gibt, bewerten wir positiv. Denn nur dies verspricht, dass zügig daran gearbeitet werden kann, den Standort zu entwickeln. Allerdings werden dafür nach allen Erfahrungen einige Jahre nötig sein. 

BDA: Wie fällt Ihr Fazit aus zu EUROPAN 15 und der Bergischen Kooperation?

Christof Gemeiner: Wir stehen alle vor denselben Planungsherausforderungen in der Region, und da ist es natürlich hilfreich und sinnvoll, wenn man Projekte miteinander anschiebt. Man lernt sich besser kennen, solche Projekte schaffen Vertrauen. Ich könnte mir vorstellen, dass man das an anderer Stelle nochmal wiederholt. Das wäre sowieso meine Empfehlung. Es heißt ja so schön, einmal ist keinmal. Ich würde daraus eine Serie machen. Man muss jetzt analysieren, was lief gut, was lief schlecht, wer ist bereit, noch mal mitzumachen. Dann müssen wir unsere Anforderungen besser formulieren, und dann werden wir auch gute Ergebnisse erhalten. Dass sich die Preisrichter, aber auch die Vertreter der Verwaltung zusammensetzen, das Gewesene analysieren und daraus ein Anforderungsprofil für künftige Teilnahmen zu erarbeiten. Das wäre mein Hauptanliegen an diese Runde. Das Potenzial ist da, und es kommen auch Zeiten, in denen wieder mehr teilnehmen.

Letztendlich wollen wir alle unsere Städte voranbringen, da sind natürlich visionäre Ideen gefragt. Input von außen ist enorm wichtig, stadtintern kann so etwas gar nicht geleistet werden. Ich erwarte, dass Politik sehr offen ist für solche Projekte. Nehmen wir unsere Innenstädte, da sind natürlich gute Ideen gefragt, wie wir unsere Städte vital halten. Das wäre allein ein Wettbewerb wert.

Text und Interviews: Monika Medam