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Ernst Ludwig Kirchner – vor der Kunst die Architektur

19. Oktober 2020

Entwurf für ein Herrenzimmer, perspektivische Innenansicht. Foto: Courtesy Galerie Henze & Ketterer & Triebold Riehen/Basel und Witrach/Bern

Dortmund. Die Eltern hatten ihm das Architekturstudium abgerungen, damit er nicht brotloser Künstler bliebe. Diese Sorge trieb Ernst Ludwig Kirchner allerdings nie um. Der spätere Expressionist wurde schon früh gefeiert und formidabel entlohnt. Heute werden für seine Bilder sechs- bis siebenstellige Summen aufgerufen. Umso ungewöhnlicher die Ausstellung im Baukunstarchiv NRW, die den unbekannten Kirchner zeigt, den Architekten. „Vor der Kunst die Architektur“ heißt die Schau mit 95 Zeichnungen, die zwei Kriege, Erbschaften und alle Umzüge als Sammlung überstand und überhaupt erst zum dritten Mal gezeigt wird. Angesprochen sind nicht nur Kirchner-Fans, vor allem für Architekten lohnt der Blick auf seine Studienzeit.

Ein Jahr Forschungs- und Ausstellungsarbeit: Dr. Alexandra Apfelbaum und Christos Stremmenos haben die Kirchner-Schau kuratiert. Foto: sim

Was wird gezeigt? Was man als Architekturstudent um die Jahrhundertwende an der Königlich Technischen Hochschule in Dresden entworfen und gezeichnet hat: Wunschhäuser, Villen für Kunstliebhaber, ein Museum, ein Maleratelier – aber auch Rauchzimmer, besser bekannt als Herrenzimmer samt kompletter Möblierung. Kirchners Blätter zeigen Grundrisse, Mittelschnitte, Details, Skizzen für Stühle und Schreibtisch, perspektivische Ansichten. Es war die Zeit des Werkbundes, Architekten wollten Gesamtkunstwerke schaffen. Die angehenden Baumeister entwarfen nicht nur die Häuser sondern das Interieur gleich mit: Teppich, Tapete, Teekanne.

„Vom Städtebau bis zum Sofakissen, es gab nichts Spannenderes als die Wechselbeziehung von Kunst und Architektur“ Prof. Wolfgang Sonne, wissenschaftlicher Leiter des Baukunstarchivs

Kirchner, der mit seinen Freunden und späteren „Brücke“-Künstlern Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff bis 1905 in Dresden Architektur studierte, hinterließ ein Konvolut an Skizzen und Zeichnungen, die sich zwischen Historismus, Jugendstil und dem aufkommenden Reformstil bewegen – schon damals akribisch, kunstfertig, schon damals mit besonderem Gespür für Farbe.

Presserundgang im Baukunstarchiv NRW: Die Kirchner-Ausstellung läuft bis zum 20. Dezember in Dortmund. Foto: sim

Über eine alte Verbindung zu Studienfreunden in der Schweiz, erzählt Klaus Fehlemann, Bevollmächtigter des Fördervereins Baukunstarchiv, landete die Kirchner-Sammlung auf seinem Schreibtisch. Mehr als ein Jahr Vorarbeit liegen hinter den Ausstellungsmachern und Kuratoren Dr. Alexandra Apfelbaum und Christos Stremmenos, die mit den Leihgebern verhandelten. In Zusammenarbeit mit der Schweizer Galerie Henze Ketterer & Triebold, die auch Kirchners Nachlass verwaltet, entstand diese Wanderausstellung. Nach Dortmund macht sie Station im Kulturpalast Dresden (Kirchners Studienort), danach wird sie im KirchnerHausMuseum Aschaffenburg (Kirchners Kindheit und Jugend) gezeigt.

Dortmund legt zwar vor, beleuchtet Kirchners Geschichte weit nach seinem Tod. Die damalige Kämpferin für ein Haus der modernen Kunst, Leonie Reygers, sicherte sich in den 1950er-Jahren Werke von Ernst Ludwig Kirchner für die ständige Ausstellung in Dortmund. 1986 widmete das damalige Museum Ostwall Kirchner eine große Einzelausstellung.

Als Abschlussarbeit plante der Student Ernst Ludwig Kirchner übrigens einen Friedhof. Mit dem Diplom „beerdigte“ der Künstler Kirchner dann auch den Architekten Kirchner. Simone Melenk

INFOBOX

Ernst Ludwig Kirchner – vor der Kunst die Architektur

bis 20. Dezember 2020, Dienstag bis Sonntag 14-17 Uhr, Donnerstag 14-20 Uhr, Baukunstarchiv NRW, Ostwall 7, Dortmund

Eintritt 10 Euro/erm. 5 Euro (Mitglieder des Fördervereins).

Öffentliche Führungen am 11. und 25. Oktober, jeweils 15 Uhr. Anmeldung unter info@baukunstarchiv.nrw

www.baukunstarchiv.nrw

Zur Ausstellung ist ein sehr schöner Katalog in der Schriftenreihe des Baukunstarchivs NRW erschienen (Verlag Kettler, 34 Euro ISBN 978-3-86206-803-6)