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Continuous reinvention – Snøhetta – Kamingespräch mit Jette Cathrin Hopp

17. November 2020

In diesem Herbst ist alles anders, Corona macht die Regeln und die anstehende Kammerwahl stieß beim BDA eine produktive Selbstreflexion an. So lud der Landesverband NRW am 19. November zum ersten digitalen Kamingespräch der Vortragsreihe »Einfach nur bauen oder Architektur wagen?«, die gemeinsam mit regionalen BDA Gruppen geplant worden ist.

Vor einem Jahr hätte man noch über das gestaunt, was heute schon fast Normalität ist, dass der Gastgeber und Landesratsvorsitzende Gert Lorber in seinem Kölner Büro saß, Moderator David Kasparek an seinem Bonner Schreibtisch und Jette Cathrin Hopp, Direktorin und Mitglied des Managementboards von Snøhetta aus Oslo zugeschaltet wurde, während die Zuschauer es sich, wo immer sie sich gerade befanden, zum Zuschauen und Zuhören gemütlich machen konnten.

Der Abend mit Jette Cathrin Hopp stand unter dem Titel »Continuous reinvention – Snøhetta«, illustriert war die Einladung mit der ebenso vielsagenden wie vielversprechenden Visualisierung der sich scheinbar ins Endlose windenden Treppe des Shanghai Grand Opera Houses.

Shanghai Grand Opera House von Snøhetta ©Snohetta MIR

Architektur mit kollektive Autorenschaft

Doch anstatt direkt in die Zukunft zu schauen, überraschte David Kasparek Jette Hopp mit der Frage, wie sie denn überhaupt zur Architektur gekommen sei. Schon früh habe sie sich mit Räumen auseinandergesetzt, antwortet sie in fast akzentfrei auf Deutsch, sie sei mit großer Wertschätzung der Natur aufgewachsen, was sie ihren norwegischen und deutsch-dänischen Eltern sehr zugute halte. Eigentlich wollte sie Kunst studieren, entschied sich dann aber doch für die Architektur. Seit 2005 arbeitet sie bei Snøhetta. Dass Architektur dort als Kulturausdruck verstanden wird, entspreche genau ihrer eigenen Haltung.

 

Herausforderung: Bürowanderung auf den verschneiten Snøhetta ©screenshot

Außergewöhnlich bei Snøhetta ist, dass sich das Büro, das vor 31 Jahren in LA gegründet wurde und mit dem Bau der Bibliotheca Alexandrina viel Aufsehen erregte, bis heute als Kollektiv versteht. An sieben Standorten in Europa, Asien, Australien und den USA arbeiten rund 240 Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten, Brand- und Produktdesigner und Künstler aus 32 verschiedenen Nationen in Teams, in denen jeder schnell seinen Platz finde, erläutert Hopp die Bürostruktur. Sie nennen es „negotiated architecture“, ausgehandelte Architektur, die in diesen breit aufgestellten Teams entstehe und für die es schließlich eine kollektive Autorenschaft gebe.

Instrumetentausch für mehr Sensibilität

In drei Jahrzehnten konnte Snøhetta zur Konzeptfindung eine ganz eigene Methodik entwickeln, um sich mit Transpositioning (Rollenwechseln) von prä-akzeptierten Lösungen zu befreien, um sich ja nie selbst zu wiederholen, um Wissen und Kompetenzen neu zusammenzusetzen. Das funktioniere wie ein Orchester, in dem die Musiker ihre Instrumente tauschen, um eine höhere Sensibilität füreinander zu entwickeln. Doch was muss vorhanden sein, damit Architektur innovativ wird, fragte Kasparek nach. Und Jette Hopp konnte die entscheidenden Triebkräfte direkt in einer Grafik zeigen. Viel finde in den Werkstätten statt, werde analog und digital getestet, um – Stichwort Co-Creating – eine gemeinsame physische Basis zu schaffen, die keine Architektur sei.  So entstehe Verbindlichkeit, direkt am Kick-off.

Und dann nahm sie die Zuschauer kurz mit auf den verschneiten Snøhetta, den zweithöchsten Berg Norwegens, „a place that nobody ist from, but anyone can go to“. Einmal im Jahr findet eine große Bürowanderung dorthin statt, eine Herausforderung, die für alle gleich groß ist, Egalität ist genauso wichtig wie das Wir-Gefühl.

Doch wie läuft dieser aufs Miteinander ausgelegte Prozess in Zeiten von Corona ab, wo doch just an diesem Tag in Norwegen offiziell das Arbeiten im Homeoffice empfohlen wurde? Für Snøhetta, ein Büro mit vielen Standorten, war das digitale Arbeiten auch über große Distanzen nicht so ungewöhnlich, neu sei nur, dass auch die Auftraggeber mit in dieses System aufgenommen wurden. Und rückblickend staunt Jette Hopp fast selbst ein wenig, wie groß die Produktivität auch in der Zeit war, in der alle (mit einem eigens entwickelten Online-Workshopformat) Zuhause gearbeitet haben. Wenn sie nach weiteren positiven Aspekten der Pandemie suche, erinnert Jette Hopp sich an die hohe Konzentration beim Arbeiten, die Pünktlichkeit und eine sehr disziplinierte Diskussionskultur. Ihr persönlich sei der Verzicht aufs Reisen sehr schwergefallen, die soziale Dimension gehe im Netz einfach verloren, sie tröste sich aber mit dem Nachhaltigkeitsaspekt jedes nicht gemachten Fluges.

Jette Cathrin Hopp, Snøhetta Foto ©mKunze

Mitten im ersten Lockdown hat Snøhetta ein großes städtebauliches Projekt in Mailand begonnen und mit den italienischen Partnern komplett online entwickelt. Bemerkenswert sei dabei zu beobachten gewesen, wie groß plötzlich die Sehnsucht nach Begegnung im konsumfreien öffentlichen Raum, nach Nachbarschaft war und niemand mehr Wohnungen ohne Balkon planen wollte.

Bilder gab es dazu noch nicht, wohl aber von dem neuen HQ der Zeitung Le Monde in Paris. Prominent am Ufer des Seine gelegen verbindet eine markante Bogenstruktur zwei Grundstücke miteinander. Der Brückenbau am Fluss, nicht über den Fluss, sei sehr symbolträchtig, so Jette Hopp, da sich das Medienhaus von hier aus mit der Welt verbinde. Viel aufregender sei aber noch, dass es trotz der in Frankreich immanenten Terrorgefahr möglich war, bestimmte Bereiche des Gebäudes, die Cafeteria, die Bibliothek öffentlich zugänglich zu machen. Dass man mit Architektur, wenn man sie als ein soziales Instrument betrachtet, die Gesellschaft verändern kann, schob Jette Hopp nicht nur als Resümee zu dem Verlagshaus in Paris nach, sondern leitete mit dieser These zum nachfolgend vorgestellten King Abdulaziz Center for World Culture in Dharan (Saudi-Arabien) über. Denn dort benutzen Frauen und Männer nun den gleichen Eingang, was in Saudi-Arabien längst keine Selbstverständlichkeit ist.

Beim digitalen Kamingespräch mit Jette Hopp knisterte das Feuer dezent im Hintergrund. ©screenshot

 

Wie das gemeinsame Entwerfen denn ganz praktisch ablaufe, hakte Gerd Lorber noch einmal nach und Jette Hopp erklärte, dass die Projekte bei Snøhetta grundsätzlich nicht stilistisch, sondern inhaltlich angetrieben seien. Bestimmte Grundwerte, der humanitäre, der egalitäre, würden von allen geteilt. Und die Formensprache schließlich entwickele sich aus dem Verständnis von Architektur als Landschaft.

Abschließend nach einer Zukunftsperspektive für die Architektur gefragt, verwies Jette Hopp auf Snøhettas Powerhouse-Projekte, sanierte oder neu gebaute Häuser, die mehr Energie produzieren, als sie im Betrieb, inclusive Bau und Abbau verbrauchen. Sie zeigen, wie Architekten aktiv dazu beitragen können, die Belastungen der Bauindustrie zu reduzieren, um den Zielen des Pariser Abkommens näher zu kommen. Mit dem Aufruf sich dieser Aufgabe gemeinsam zu stellen, ging das intensive Gespräch pünktlich zu Ende und im Nachhinein fragt man sich, wie es gelungen ist, so viele Ideen, Inhalte und Inspirationen in nur eine Stunde zu packen.

 

Uta Winterhager