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Das Nürnberger Reichsparteitagsgelände

28. Februar 2021

Umgang mit den Hinterlassenschaften der  NS-Architektur
Seit vielen Jahrzehnten herrscht in Nürnberg Ratlosigkeit über den richtigen und möglichen Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes. In den letzen Monaten ist wieder Leben in die Diskussionen gekommen. Anlass war das sogenannte Regenbogenpräludium. Bislang unbekannte Künstler brachten auf dem Mittelteil der Zeppelintribüne senkrechte Farbflächen in Regenbogen an. Kunst oder Sachbeschädigung ?

Fast gleichzeitg berichten die Nürnberger Lokalzeitungen, aber dann auch die SZ von der Idee eines Nürnberger Architekten, die Zepplintribüne mit einem Neubau zu überformen.

Zwei Gedankenmodelle, die unterschiedlicher nicht sein können. Mehr dazu in unserer Stellungnahme unten. Zunächst noch ein stichpunktartiger Bericht über die bisherigen Entwicklungen.

PHASE 1 – Zerstörung
Direkt nach Kriegsende wurden zahlreiche Bauteile des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes gesprengt. Es ist absolut nachvollziehbar, dass direkt nach dem Krieg, diese Bauwerke – vielleicht auch als Demonstration der Überlegenheit – durch die Siegermächte zerstört wurden.

PHASE 2 – Ignorieren
Lange Zeit wurde die Geschichte der Bauwerke dann ignoriert und in das alltägliche Leben integriert. An die Rückseite der Steintribüne wurden Tennisbälle geschlagen, bis heute findet dort das Norisringrennen statt. Das Zeppelinfeld wurde mit einem Wohnquartier bebaut, die ehemaligen städtbaulichen Kanten sind dabei weitgehend verschwunden.

PHASE 3 – Nachdenken
Parallel zum pragmatischen Umgang wurde aber auch immer wieder nachgedacht, wie eine längerfristige Strategie aussehen könnte. Die Ergebnisse eines 2001 durchgeführten städtebaulichen Wettbewerbs, der sich richtigerweise nicht nur mit den Gebäuden, sondern dem gesamten weitläufigen Areal beschäftigte, wurden nicht weiterverfolgt.

Mit dem Dokumentationszentrum von Günther Domenig wurde 2001 erstmalig ein wirklicher konzeptioneller Architekurbeitrag realisiert.
Wie ein Keil durchschneidet das Gebäude in der für Domenig typsichen Architektursprache den Torso der geplanten Kongresshalle. Bis heute ist das Gebäude und die darin gezeigte Ausstellung hoch angesehen und mehrfach preisgekrönt.

PHASE 4 – Eine Entscheidung
2019 wird vom damaligen Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly und dem Bayerischen Ministerpräsidenten Marcus Söder die Sanierung der Zeppelintribüne bekannt gegeben. Die SZ berichtete. Es solle keine Sanierung im kassischen Sinne werden, sondern lediglich eine Sicherung des Bestandes vor dem Verfall. Summen von rd. 100 Mio. Euro werden als Kosten aktuell 2021 geannt. Diese Investition entfacht eine breite Diskussion, sowohl bei Fachleuten und der Öffentlichkeit. Auch überlebendeZeitzeugen sehen diese Entscheidung durchaus kritisch.

Aktuelle Diskussionen
Bereits 2001 gründete der Nürnberger Verein BauLust eine Arbeitsgruppe und organisiert seitdem zahlreiche Veranstaltungen, die gut dokumentiert sind.
Sehenswert ist die ONLINE-Diskussion der TU-Wien, der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und BauLust vom 21.01.2021.


Stellungnahme des BDA Kreisverbandes Nürnber Mittelfranken Oberfranken 2021

Seit Jahrzehnten wird nicht nur in Nürnberg sehr kontrovers über den  Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften der NS-Architektur auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände diskutiert. Dies geschieht zumeist auch unter der Einbeziehung kompetenter international anerkannter Fachleute. Die Ergebnisse dieser komplexen theoretischen Diskurse werden von der Öffentlichkeit aber nicht wahrgenommen; eine Tatsache, die auch unsere Kulturbürgermeisterin im Rahmen einer Online-Veranstaltung im Januar 2021 deutlich bedauerte.

Einzig der bereits 2019 gefasste Beschluss, für den Substanzerhalt der Steintribüne einen Betrag von über 80 – 100 Mio. Euro zu investieren, schaffte es in die öffentliche Diskussion.

Zwei Aktionen haben es in den letzten Monaten dann doch in die Medien und damit in die breite Öffentlichkeit geschafft. Beide haben Bilder geliefert und damit die öffentliche Diskussion wieder etwas entfachen können. Das ist das Positive an beiden Beiträgen, die aber im Weiteren nicht unterschiedlicher sein könnten.

Das Regenbogenpräludium
Zunächst bemalen unbekannte Künstler die Steintribüne in den Regenbogenfarben. Einfach, schnell, über Nacht, überraschend und mit wenig (finanziellem) Aufwand. Was für ein Coup.

Dann wird in regional und überregional über die Idee einer Überbauung der Steintribüne berichtet. Wie eine riesige Vitrine wird ein Gebäude über die Steintribüne gestülpt. Durch diese Durchdringung und Überformung soll lt. dem Verfasser „die Maßstäblichkeit gebrochen“ und die „Stärke der Demokratie zu Schau gestellt“ werden. Ein „Institut für politische Bildung“ wird als passende Nutzung vorgeschlagen.

Der BDA begrüßt und fördert grundsätzlich eine weitergehende und fortlaufende intensive Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit über  den Umgang mit dem gesamten Reichsparteitagsgelände sehr. Die komplexe Thematik braucht Öffentlichkeit, viele Meinungen, aber auch Kompetenz, und Kreativität. Und ab und zu sind offenbar auch Guerilla-Aktionen nötig, um die hemmenden Verwaltungsvorgänge aufzuzeigen und zu durchbrechen.

 

Was zeigen uns die beiden Vorschläge ?
Auf der einen Seite die Kunst, die mit einer wenig aufwändigen Maßnahme ein vielschichtiges neues Bild der Steintribüne erzeugt, das aber gleichzeitig ganz viel aussagt und ein starkes Zeichen setzt: Ein Bild einer weltoffenen bunten Demokratie, die fast schon lässig aber nicht respektlos mit den Hinterlassenschaften dieses Orts umgeht. Und die ein Zeichen setzt, gegen braunes Gedankengut, gegen die Fackelzüge der ewig Gestrigen, die auf dem Gelände leider immer wieder stattfinden. Aber auch ein Selbstverständnis aufzeigt, dass Kunst mit spontanen Aktionen mehr erreichen kann, was der Jahrzehnte lange theoretische Diskurs nicht schaffen konnte.

Auf der anderen Seite der Versuch mit gebauter Architektur das Gleiche zu erreichen. Allerdings zu welchem Preis ? Der Vorschlag, eine Lösung nur mit Architektur und ein bisschen theoretischen Inhalt zu versuchen, verliert gegen die Regenbogen-Streifen haushoch. Da helfen auch die theoretischen Herleitungen kaum. Diese braucht die Kunst gar nicht, denn die Verfasser:innen des Präludiums sind nach wie vor selbst gar nicht in Erscheinung getreten oder inszenieren sich selbst.

Auch die Stadt Nürnberg, die die Farbe in einer ad hoc -Aktion wieder entfernen ließ, zeigt mittlerweile große Sympathie für diesen Beitrag. Dass die Strafverfolgung eingestellt wurde bestärkt die Aktion zusätzlich: Es war keine Sachbeschädigung oder Schmiererei, es war viel viel mehr.

Die Vergänglichkeit solcher Kunstaktionen ist für die Hinterlassenschaften der für 1000 Jahre angelegten Bauten eine zusätzlich passende Eigenschaft. Während Architektur auch wieder für 50-100 Jahre angelegt wird, braucht Kunst diese Zeiträume gar nicht. Sie könnte einen ständigen Wandel und ständige Aktion auf dem gesamten Gelände bedeuten, auch ein Zeichen, dass die Gesellschaft eben nicht müde wird, immer wieder ein Zeichen zu setzen, dass eine Wiederholung der Geschichte nicht gewollt wird.

Der Beschluss, alleine für die Sicherungsmaßnahmen an der Steintribüne rd. 80 – 100 Mio. Euro zu investieren, ist falsch. Mit diesem Geld könnte – im Übrigen auch nach Auffassung der wenigen noch lebenden Zeitzeugen – viel Wichtigeres geschaffen werden.

Selbst, wenn die Tribüne am Ende nicht mehr betretbar wäre und teileweise einstürzen würde, wäre das nicht schlimm. Denn für das Begreifen der Dimension des gesamten Areals über Kongresshalle, große Straße bis hin zum mittlerweile komplett bebauten Märzfeldes ist eine intakte Steintribüne nicht notwendig.

Das Gelände sollte aber auch wieder mehr von der Bevölkerung in Besitz genommen werden dürfen als es aktuell schon passiert. Damit verliert es das Museale, das nicht Benutzbare, das Unnahbare. Das wäre ein sympathisches  Zeichen dafür, dass die Demokratie über den Faschismus gesiegt hat.

Für uns Architekten heisst das: Kreativität durch Weglassen. Die Überformung oder Ergänzung des Geländes mit Architektur muss zurückhaltend sein, oder – wie es das Dokumentationszentrum vormacht – an der richtigen Stelle einen Stachel setzen.

Der BDA empfiehlt daher:

  1. Betrachtung des gesamten Geländes, nicht nur der Steintribüne
  2. Keine Sanierung oder Instandhaltung der Steintribüne zu den gepanten Summen.
  3. Investition des geldes in Wissensvermittlung und Bildung vor Ort
  4. Nur minimale architektonische wohl überlegte Eingriffe
  5. Rückbau der Dauerinstallationen des Noris-Ring-Rennens
  6. Inbesitznahme des Geländes durch die Bevölkerung
  7. Freigabe bestimmter Areale für spontane Kunstaktionen
  8. Reduzierung auf die allernotwendigsten Reglements
  9. Offene Diskussion und Austausch mit der Öffentlichkeit

 

Nürnberg, 28.02.2021 Andreas Grabow