Themen

, ,

Recent work

15. Februar 2021

Das dritte und letzte Kamingespräch der Vortragsreihe »Einfach nur bauen oder Architektur wagen?«, des BDA Landesverbandes NRW und seinen regionalen Gruppen,diesmal in Kooperation mit dem BDA Köln fand im Dezember 2020 statt – und es wurde der Abend der Frauen. Aus Bielefeld begrüßte Susanne Crayen, die seit vielen Jahren im Landesvorstand aktiv tätig ist und seit gut einem Jahr auch Vizepräsidentin der Architektenkammer NRW ist, Zuschauer und Gäste. Virtuell an ihrer Seite stand die stellvertretende Vorsitzende des BDA Köln Andrea Wallrath, die Yvonne Farrell und Shelley McNamara natürlich viel lieber im Museum für Angewandte Kunst eingeladen hätte, doch in diesem Herbst macht die globale Pandemie die Regeln und so saßen die beiden Direktorinnen von grafton architects in Dublin vor ihren Bildschirmen. Im Hintergrund Bücher, Skizzen, Malerei, kein Umstand, keine Inszenierung. Hochkonzentriert saßen die beiden Architektinnen, die ihr gemeinsames Büro 1978, vier Jahre nach dem Abschluss ihres Studiums am University College Dublin gegründet haben dort und spielten sich in ihrem Vortrag sehr routiniert die Bälle zu. Dass sie sich nicht auf das sonst übliche von David Kasparek moderierte Talk-Format der Kaminabende einlassen wollten, gab vielleicht einen Hinweis darauf, wie fokussiert die beiden Architektinnen arbeiten.

Stream des BDA Kamingespräches mit Yvonne Farrell und Shelley McNamara am 1. Dezember 2020. Mitte: Projektpräsentation London School of Economics, The Marshall Building

FREESPACE

„Recent work“, dieser Titel ist viel zu bescheiden, für das, was sie in den kommenden 60 Minuten präsentierten: Gewaltige Strukturen an spektakulären Orten. Virtuose Konstruktionen aus Beton oder Holz, die eines gemeinsam haben, egal wo auf der Welt sie sich befinden, sie laden ein zur Begegnung. Andrea Wallrath ließ es in ihrer Begrüßung anklingen, dass Yvonne Farrell und Shelley McNamara nach Jahrzehnten intensiven Schaffens erst mit der von ihnen 2018 kuratierten die Architektur-Biennale in Venedig großes internationales Aufsehen erregten. Das von ihnen gewählte Thema FREESPACE, sehr nachdrücklich immer in Großbuchstaben geschrieben, blieb noch lange in den Köpfen hängen und wird auch im Kontext der Pandemie immer wieder als Referenz herangezogen. Als ihnen 2020 der Pritzker-Preis verleihen wurde, las man in der Begründung an erster Stelle Lob für ihre Großzügigkeit gegenüber Kollegen, gefolgt von der Anerkennung ihres unnachgiebigen Engagements, exzellente Architektur zu schaffen und gleichzeitig Gegebenheiten der Umwelt und Natur verantwortungsvoll zu berücksichtigen, sowie ihrer Fähigkeit, sowohl kosmopolitisch zu denken, als auch die Individualität jedes einzelnen Gebäudes und Ortes zu achten.

 

A gift to strangers

Was das in Architektur übersetzt heißt, belegten Farrell und McNamara in ihrem dicht bebilderten Vortrag. Aber auch hier wurde deutlich, wie wenig Aufhebens sie um ihren eigenen Auftritt machen, viel Zeit verwendeten sie dagegen bei jedem ihrer vorgestellten Projekte mit der Beschreibung des Ortes, den Gegebenheiten der Natur, den Herausforderungen der Stadt, der Auswahl und den Eigenschaften des Materials. Es sind nicht die üblichen hochglänzenden und hyperrealistischen Bilder der fertigen Bauten, sondern vielfach Collagen, die den Gebrauch oder den Entwurf dokumentieren. Den Stolz auf ihre eigene Arbeit merkt man Farrell und McNamara in genau den kurzen Augenblicken an, wenn sie zeigen können, dass ihr Konzept aufgegangen ist, dass sie für das, was sie genommen haben auch etwas Wertvolles zurückgeben.

Made in Ireland

Yvonne Farrell eröffnet den Werkvortrag mit einer Erinnerung: Deutschland habe, seit ihre erste Auslandsreise, ein Schüleraustausch über das Goethe-Institut sie dorthin geführt hat, einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen. Heinrich Böll hat sie als Studentin gelesen, das Irische Tagebuch, das die deutsche Sicht auf Irland ganz sicher geprägt habe. Interessant sei die Widmung, zitiert sie augenzwinkernd: „Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor“. Shelly McNamara und sich selbst bezeichnete sie aber als „products of ths island Ireland“, die sehr bewusst wahrnehmen, welchen Einfluss, dieser besondere Ort auf sie und ihre Wahrnehmung von Räumen ausgeübt hat. Sie schätzen Tradition genau wie das Zeitgenössische. Sie sehen sich als Teil der Natur und fügen das, was sie uns schenkt, das Leben, den Stein, das Holz, den Regen, die Jahreszeiten, in ihr eigenes schöpferisches Repertoire ein.

Und bevor sie das erste Bild zeigen, zitieren Yvonne Farrell noch Lina Bo Bardi: “Until a person enters a building, climbs its steps and ceases the space in a human adventure, that unfolds in time architecture does not exist.” Ob gebaut, im Bau oder in Planung, bei jedem der gezeigten Gebäude wünscht man sich, dass man selbst genau diese Person ist, die das Gebäude betritt, dieses Wagnis unternimmt, um diese wunderbaren Architekturen wirklich werden zu lassen.

 

 

Eine kleine Auswahl der vorgestellten Projekte

Universita Luigi Bocconi, Mailand, Foto ©Brunetti

 

Die Universita Luigi Bocconi (Mailand, 2008) eine memory map of experiences. Wie eine Skulptur, eine künstlich/künsterisch geschaffene Landschaft steht das Betonbauwerk der Wirtschaftsuniversität an der Kreuzung einer stark befahrenen Straße, Büroräume und Höfe sitzen in dichten Schichten gestapelt auf der wie einen Keil ins Innere getriebenen Aula Magna. Tiefe Einschnitte leiten das Tageslicht wie Periskope weit nach unten ins Innere des Gebäudes, eingefangen und wiedergegeben von hellem Marmor.

 

UTEC- Universidad de Ingeniería & Tecnologia, Lima, Peru, Foto ©Iwan Baan

Der University Campus UTEC (Lima, Peru, 2015) imitiert die steile, 40 Meter abfallende Küste zum Pazifik. Wie eine von Menschenhand gemachte Klippe stemmt sich der vertikale Campus als hohe Sichtbetonstruktur aus der Erde, wendet der Stadtautobahn seine harte steile Seite zu, während die begrünte Südfassade gemächlicher abfällt und Grün sich von hier aus in das Gebäude wächst. Erdbebensicher verankert, kann der oberirdische Teil des Gebäudes sich ohne Schaden zu nehmen bewegen. Die Erschließung liegt an der Außenseite, der Blick ist frei auf die Stadt und die Umgebung, eine Voraussetzung zur Identifikation mit dem Ort damit gegeben.

 

 

University of Arkansas, Timberlands Center for Design, Fayetteville, Arkansas, view ©grafton-architects

Mit dem Timberlands Center for Design (Fayetteville, Arkansas, USA,WB 2020) wollen Universität und Staat einen Bezug zu den regionalen Bäumen und dem Bauen mit Holz herstellen. „Trees are amazing“, staunte Farrell, die Zuschauer staunten über das siebengeschossige Fakultätsgebäude mit gefaltete Dachkonstruktion ein reiner Holzbau. Die Vielfalt der verwendeten Hölzer und Konstruktionen machen es zu einem Storybook of Timber.

 

 

Dublin City Library, Cultural Building and Public Space View of central space view ©grafton-architects

Die neue Stadtbibliothek City Library in einem etwas vernachlässigten Stadtteil von Dublin ist ein unsichtbares Projekt, verborgen hinter einer Reihe von georgianischer Häuser. Dass Architektur eine heilende Kraft besitzt, zeigt der Anspruch mit dieser Stadtreparatur, die Alt und Neu eins werden lässt ohne die Konturen zu verwischen, auch ein Stück Gesellschaftsreparatur anzustoßren und der Bibliothek als der letzten demokratischen Institution in unserer Gesellschaft einen besonderen Ort zu schaffen.

 

 

Town House, Kingston University London, Foto ©Alice Clancy

Das für die Kingston University (Kingston, UK, 2019) gebaute Town House ist ein offenes Universitätsgebäude mit einem inside-out Konzept, Kolonnaden an drei Seiten als außenliegende Erschließung, darin zwei gegensätzliche Funktionen, die School of Dance und die Bibliothek als hochfunktionale Einheit. Der Eventspace ein Forum ähnlich einem Amphitheater, wurde zum Herzen des Gebäudes, ein Raum nicht nur für formale Veranstaltungen, sondern öffenbar zum Foyer, ein wunderbarer informeller Treffpunkt, an dem vieles passieren kann.

 

 

view ©grafton-architects

Den Neubau der London School of Economics, The Marshall Building LSE (London, UK, im Bau) betrachten grafton architects als Palazzo, Landschaft und Bäume werden in das große Volumen integriert. Vorlesungssäle und Studienräume werden mit einer gewaltige baumartigen Betonstruktur um zwei Etagen angehoben, darunter entsteht ein halböffentlicher Raum als “free gift to strangers”. Denn, so legen grafton architects ihre soziale Verantwortung aus, jedes Gebäude sollte der Stadt für den Raum, den es einnimmt, etwas zurückgeben.

 

Uta Winterhager