Themen

, , ,

RÜCKBLICK – LESS IS MORE – ARCHITEKTUR DES POSITIVEN VERZICHTS IM HAUS

12. Februar 2022

Architektonisches Moment der Ermächtigung
Less is more — Architektur des positiven Verzichts im Haus


Nach der regionalen und globalen Ebene und der Stadt stand zum Abschluss der Reihe „Less is more“ des BDA Münster Münsterland am 9. Februar das Haus und damit die Architektur an sich im Mittelpunkt der Diskussion: Christine Lemaitre, Vorständin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), Andrea Klinge, Architektin und Partnerin bei ZRS Architekten in Berlin und Professorin für Zirkuläres Bauen an der FHNW in Basel, und Thomas Auer, Partner im Ingenieurbüro Transsolar und Professor an der TU München, waren zu Gast im LWL Museum für Kunst und Kultur.

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Less is more – Architektur des positiven Verzichts – letzter Vortragsabend des BDA Münster-Münsterland

v.l.n.r.: Thomas Auer_Transsolar, Andrea Klinge_ZRS Architekten, Christine Lemaitre_DGNB, Martin Behet_BDA Münster, Andreas Heupel_BDA Münster, Merle Radtke_Kunsthalle Münster, Kristina Scepanski_Westfälischer Kunstverein, Dr. Marianne Wagner_LWL-Museum für Kunst und Kultur, Friederike Abdelkader_BDA Münster, David Kasparek_Moderator

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Begrüßung Merle Radtke, Leiterin Kunsthalle Münster

 

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Begrüßung Martin Behet, BDA Münster-Münsterland

Christine Lemaitre machte den Auftakt und gab Einblicke in die Arbeit der DGNB und forderte die am Bau Beteiligten eindringlich auf, proaktiv im Sinne einer umweltgerechten Architektur zu handeln. Es sei an der Zeit, so Lemaitre, selbst aktiv zu werden und nicht länger Verantwortung bei anderen zu suchen. Seit zu langer Zeit würden innerhalb der Disziplinen, die mit dem Bauen unmittelbar verbunden sind, Bekenntnisse abgelegt, denen dann zu wenige Taten folgten. Als Beispiel benannte sie das 2009 von allen deutschen Architektur- und Ingenieursverbänden unterschriebene und vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten maßgeblich mit entwickelte „Klima-Manifest“, dem wenig Konkretes gefolgt sei. Tatsächlich, das war Christine Lemaitre wichtig zu betonen, gebe es bereits heute beeindruckende Beispiele aus der gebauten Praxis, die unter Beweis stellten, dass Architektur umweltgerecht gedacht und realisiert werden könne. Diese gelte es prominent zu machen – auch durch Zertifizierungen und entsprechende Auszeichnungen – und als positive Beispiele heranzuziehen, die aber noch in die Breite gestreut werden müssen. Abwarten und Verantwortung abwälzen jedoch sei nicht länger opportun.

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Christine Lemaitre, DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, Stuttgart

Thomas Auer zeigte im Anschluss anhand einer gemeinsam mit Florian Nagler und im Detail-Verlag publizierten Untersuchung von Schulgebäuden auf, wie sehr sich der Anteil technischer Gebäudeausstattungen in den letzten hundert Jahren am Bau erhöht hat. Eine vermeintlich klimagerechte Schule, entworfen vom Büro Florian Nagler Architekten, habe heute eine „Technikzentrale in der Größe einer Turnhalle“, so Auer, der Hausmeister sitze „in einem Cockpit“. Eine mit ihr verglichene Schule von Theodor Fischer aus der Wendezeit zum 20. Jahrhundert aber verfüge über eine damals herkömmliche Heizungsanlage, keine aktiven Belüftungs- und Verschattungselemente, sei seit der Erbauung nicht saniert worden und schneide in der Performance dennoch besser ab. Der Grund, so Auer, sei eben nicht die technische Ausstattung des Schulbaus von Fischer, sondern seine architektonische Konzeption. Durch Deckenhöhen, Raumgrößen, Fensterlaibungen und -dimensionierungen seien die Werte in den Klassenzimmern hervorragend. Durch die großen Vorhänge, die als Sonnenschutz im Inneren der Räume angebracht sind, sei sogar der Schallschutz gewährleistet. Thomas Auer unterstrich dabei vehement, dass das kein Plädoyer für historisierende Architektur sei, sondern der dringende Hinweis auf die Notwendigkeit architektonisch zu denken und so die anstehenden Problemstellungen zu lösen. Als Beispiel nannte er wiederum ein mit Florian Nagler und an der TU München gemeinsam konzipiertes und realisiertes Projekt: Einfach Bauen. In Bad Aiblingen sind dabei in den letzten Jahren drei Wohnhäuser mit monolithischen Wandaufbauten aus Holz, Mauerwerk und Beton entstanden, die versuchen, mit einem Minimum an architektonischen Details und ausschließlich mit entwerferischen Lösungen zu reagieren.

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Thomas Auer, Transsolar, Stuttgart

Andrea Klinge zeigte zum Abschluss sowohl Forschungsprojekte aus dem Büro ZRS Architekten als auch realisierte Bauten. Sie legte dar, wie eine konsequent durchdachte Kreislaufwirtschaft den architektonischen Entwurf von der Materialwahl bis zum Fügen der Bauteile beeinflusst und unterstrich die Vielzahl von Stellschrauben, die Architekt:innen beim Umgang mit der Frage nach umweltgerechter Architektur zur Verfügung stünden: Von flächenoptimierten Grundrissen über Upcycling-Materialien und Kreislaufwirtschaft hin zu Weiter- und Nachnutzungen von bestehenden Gebäuden und der Verwendung CO2-bindender Bauteile. Am Beispiel des Verwaltungsgebäudes des Tierparks in Berlin-Lichterfelde machte Klinge deutlich, wie dabei auch das Weiternutzen vermeintlich wenig attraktiver Substanz sinnvoll ist. Das in den 1960er-Jahren im klassischen DDR-Systembau errichtete Haus verfügte über eine hochgradig flexible Tragstruktur, die es erlaubte eine klimatisch deutlich bessere Fassade zu entwickeln und anzubringen, die Innenräume zu modernisieren und gleichermaßen für die Identität des Hauses wichtige Einbauten zu erhalten. So ist das Haus heute auch ein Beispiel für die Neu-Justierung des Blicks auf den Bestand und die Frage, was wir in Zeiten „jenseits des Mangels“, für erhaltenswert erachten, wie es der Architekt und Hochschullehrer Andreas Hild schon 2013 in der BDA-Zeitschrift der architekt formulierte.

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Andrea Klinge, ZRS Architekten, Berlin

So ging von diesem letzten der drei Abende der gemeinsam von BDA, LWL Museum für Kunst und Kultur, Kunsthalle Münster und dem Westfälischen Kunstverein ausgerichteten Reihe ein ermutigendes Signal aus. Architektur, die Kohlendioxid bindet, statt es zu aktivieren, die kostengünstig und damit auch ökonomisch gerecht realisiert werden kann und die einen aktiven Beitrag zum Erhalt unserer Lebenswelt leistet, ist nicht nur denkbar, sie wird bereits gebaut. Auf dieser Basis gelte es nun weitere Ansätze zu entwickeln und den Blick für neue und weitere Lösungen wach und offen in alle Richtungen streifen zu lassen. Was für eine aufregende Zeit, Architektur zu machen.

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Podiumsdiskussion moderiert von David Kasparek

Das Video mit allen Vorträgen sowie die anschließende Diskussion mit Moderator David Kasparek ist hier abrufbar.

Weitere Impressionen:

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Impressionen mit Christine Lemaitre, DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, Stuttgart

 

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Impressionen der Podiumsdiskussion

 

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Impressionen der Podiumsdiskussion

 

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Impressionen mit Christine Lemaitre, DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, Stuttgart

 

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Impressionen mit Christine Lemaitre, DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, Stuttgart

 

Foto: Markus Bomholt
Foto: Markus Bomholt
Impressionen Publikumsfragen

 

Downloads

Partner