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Nachruf Stephan Y. Dietrich

11. Mai 2022

Stephan Y. Dietrich, 1948 – 2022

Unser langjähriges Mitglied Stephan Y. Dietrich ist Anfang April diesen Jahres verstorben. Lesen Sie hier einen Nachruf von Klaus Schlosser.

Am 8. April 2022 verstarb unser geschätzter Kollege, Freund und langjähriges BDA-Mitglied, Stephan Yoshiharu Dietrich.

Sein vielfältiges OEuvre will nicht recht in das Bild der heute eher technisch spezialisierten Architektenzunft passen, vielmehr war Stephan Y. Dietrich ein Wanderer zwischen den Welten, vor allem, der Welt der Künste und der Welt des Bauens. Sein Scharfsinn und sein universelles Allgemeinwissen machten ihn zu einem kaum zu ersetzenden Gesprächspartner und sachlichen Kritiker. Seine wohlmeinende Bescheidenheit machte ihn zu einem verlässlichen Freund.

Geboren 1948 und aufgewachsen in Berlin und Düsseldorf, studierte Stephan Y. Dietrich Architektur an der Technischen Universität Berlin. Nicht zuletzt durch die enge Freundschaft zum Historiker Jan Pieper geprägt, erkannte er früh im Umgang mit der historischen Substanz das für ihn wesentliche Element seiner Architekturauffassung.
Nach Abschluss des Studiums und Praxis in unterschiedlichen Architekturbüros folgten Aufenthalte in Australien, Italien und Japan – dem Land der Vorfahren seines Vaters. Ein Stipendium führte ihn an das Collège d´Europe in Brügge, welches er als Master für Konservierung, Restaurierung und Denkmalschutz verließ. Zurück in Berlin, gründete er in 1984 sein eigenes Büro.

Das IBA-Projekt Mehrfachsporthalle auf der Lohmühleninsel wurde nach gewonnenem Wettbewerb in Zusammenarbeit mit seinem Bruder, dem Landschaftsarchitekten Thomas Dietrich, sowie den Bildhauern Raimund Kummer und Herman Pitz von „Büro Berlin“ zum ersten und wichtigen Ausgangspunkt seines eigenen Schaffens. Der Entwurf könnte für eine Anwendung der Strategie des „kleinstmöglichen Eingriffs“ (Lucius Burckhardt) gestanden haben, bei dem sowohl der bestehende Gewerbebau wie auch der Baumbestand des Grundstückes behutsam in die Planung des Neubaus einbezogen und integriert wurde.

Diesem Gedanken entsprach auch das „Kunst am Bau“ Projekt, eine siebenstufige Treppenanlage im Eingangsbereich der Turnhalle. Der „Treppenmonolith“ aus Granit, vorgefertigt und als sichtbarer Grundstein eingebaut, durchstößt frei auf dem Fundament stehend die Bodenplatte. Ein Paradoxon, bei dem das als Grundstein eingebaute Kunstwerk die ureigene und essentielle Funktion als Treppe vorwegnimmt. Eine Intervention, bei der am Ende des nicht umkehrbaren Bauprozesses das Kunstwerk zum Bestandteil der Architektur wird und doch als solches sichtbar und erfahrbar bleibt. Eine Umkehr und Kritik am üblichen Verfahren von postum angebrachter „Kunst am Bau“ Applikationen und gleichzeitig ein archäologischer Verweis auf die durch das moderne Bauen verschwundene Methode der Integration und Gründung von Gebäuden auf bestehender Bausubstanz und jahrhunderte alten Schichten.

1994 erhielt Stephan Y. Dietrich für das Projekt den IAKS Award für vorbildliche Sportbauten. Die Berufung in den BDA folgte im Jahre 1995. In der Zusammenarbeit mit Raimund Kummer entstanden weitere Arbeiten, u.a. für das Museum der Deutschen Binnenschifffahrt, dem Museo delle Navi Romane , Museum Folkwang und der HBK Braunschweig. Beim gemeinsamen Beitrag von Büro Berlin mit Bogomir Ecker, Raimund Kummer, Harald Klingelhöller und Hermann Pitz zum Wettbewerb „Einheitsdenkmal“ an der Schlossfreiheit im Jahr 2009 wird die Strategie des frei gestellten Fundamentblockes erneut aufgegriffen und der „Plinthen-Stumpf“ aus wilhelminischer Zeit als Transformation in eine nach allen Seiten, quasi orgiastisch überbordende und brunnensprudelnde Insel in der Spree vorgeschlagen. „Damit würdigt der Entwurf die einzigartige Leichtigkeit des historischen Ereignisses der Wiedervereinigung, die friedliche Umsicht der Beteiligten und die heitere Plötzlichkeit des Mauerfalls“ hieß es dazu im Erläuterungsbericht.

Gemeinsam mit seiner Frau und Büropartnerin, der Architektin und Dozentin für Bau und Kunstgeschichte, Graziella Carcone, gewann Stephan Y. Dietrich in 2003 den Wettbewerb für die Wiederherstellung und den Umbau der Italienischen Botschaft in der Hiroschimastraße.
Denkmalgerechte Sanierungen, wie der Villa Dürckheim (Henry van der Velde) in Weimar oder des Kutscherhauses von Schloss Marquardt in Potsdam, blieben nicht auf historische Gebäude beschränkt. In der Auseinandersetzung mit der Architektur der Moderne, wie in 2009 beim Corbusierhaus, Unité d‘habitation Berlin LC 819 in Berlin, entstand eine Brücke zur eigenen zeitgemäßen Architektursprache, wie sich in den nachfolgenden Bauten zeigte. Neben der vollständigen Abwicklung von Neubauprojekten, war der Innenausbau ein besonderes Merkmal und Tätigkeitsfeld des Büros. Die gestalterische Freiheit wurde dabei weniger im vordringlichen Design, als in einer Art kunstfertigen Nützlichkeit der Einbauten und Möbel gesucht.

Ein unerfülltes Projekt wird der Umbau der kleinen Werkzeughütte zum Ferienhaus in der Nähe Roms bleiben. Fünfzehn Quadratmeter am Olivenhain der Familie mit Blick aufs Meer und Dusche im Freien – Le Corbusier hätte es nicht besser haben können …

Berlin, im Mai 2022
Klaus Schlosser