Themen

, ,

Gefährdete Arten – Erhalt vs. Abriss in Baden-Württemberg

14. Dezember 2022

Ausstellung im BDA Wechselraum mit begleitender Publikation
Eröffnung: 23. Januar 2023 um 19:00
Ausstellungsdauer: 24. Januar bis 31. März 2023
Öffnungszeiten: Dienstags – Freitags, 15 – 18 Uhr und nach Absprache unter 0711 640 40 39

Seit Jahrzehnten kennen wir die Rote Liste der bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Die Bedeutung der Biodiversität ist unbestritten, sie zu schützen, ein allgemein anerkanntes Ziel. Auch Teile unserer gebauten Umwelt sind zunehmend gefährdet. Und auch hier droht Vielfalt zu verschwinden. Seien es auf den ersten Blick unscheinbare Nachkriegsgebäude, die hassgeliebten Bauten des Brutalismus der 1960er und 1970er/1980er Jahre oder erste regionale Hochhausexperimente.

Es gibt gute Gründe für Erhalt und Umnutzung. Eingebettet in das aktuelle große Thema des BDA, der Sorge um den Bestand, wird der Blick auf acht ausgewählte Exemplare dieser gefährdeten Arten in Baden-Württemberg gerichtet. Ob akut vom Abriss bedroht oder dem Leerstand preisgegeben, wird die Frage nach den Gründen gestellt. Geht es um Renditen? Ist die Substanz nicht mehr zu retten? Weiß man schlicht nicht, was man damit anfangen soll? Oder sind sie der Bevölkerung ein Dorn im Auge?

Die Ausstellung zeigt die architektonischen Qualitäten, beleuchtet die Historie, geht der öffentlichen Wahrnehmung auf den Grund und eröffnet Ausblicke in die Zukunft. Sie ist ein Beitrag zur Diskussion von Umbau, Sanierung und Bewahrung des Bestands. In der Aufarbeitung der acht Fallbeispiele geht es auch darum, die bürokratischen, denkmalpflegerischen, gesellschaftlichen und finanziellen Aspekte aufzuzeigen, die die politischen und ökonomischen Entscheidungen beeinflussen. Gefährdete Arten bietet einen besonderen Blick auf die Baukultur Baden-Württembergs.

Die begleitende Broschüre stellt die Gebäude anhand eines Steckbriefes und eines vertiefenden Textes vor. Zwei vorangestellte Texte:Alexander Stumm schreibt über seine Initiative für ein Abrissmoratorium. Anette Busse plädiert für Gebäudeerhalt jenseits des Denkmalschutzes.

Eine Ausstellung des BDA Baden-Württemberg im Bündnis mit
Abrissmoratorium, Architects for Future Deutschland e.V., Arbeitskreis Bauwende – Universität Stuttgart, Bundesstiftung Baukultur und Sharing Brutalism – ABK Stuttgart

Kuratiert von Tobias Bochmann, Bernita Le Gerrette, Juliane Otterbach und Jan Theissen

Mit Texten von Anette Busse, Dietrich Heißenbüttel, Constantin Hörburger, Soffia Jungmann, Gerhard Kabierske, Melanie Mertens, Elisabeth Spieker und Alexander Stumm

Und Bildern u.a. von Gustavo Alàbiso, Sue Barr, Baschi Bender, Wilfried Dechau, , Christian Kandzia, Thomas Ott und Lys Y. Seng

Gestaltung Ausstellung und Broschüre von Tilgner Kempf, Stuttgart und Katja Schloz, Stuttgart

Am 24. Januar gab es ein Radiofeature auf SWR2:
Radiointerview Gefährdete Arten

 

Am 13. Februar wurde die Ausstellung in einem SWR Beitrag vorgestellt:
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/mannheimer-collini-center-thema-bei-architekturaustellung-in-stuttgart-100.html


Gefährdete Arten – Erhalt vs. Abriss in Baden-Württemberg

Die Ausstellung Gefährdete Arten im BDA-Wechselraum wurde von uns Studierenden mit Spannung erwartet. Am Tag ihrer Eröffnung möchte ich nochmal schnell die Uhrzeit nachschlagen und lande bei den erschreckenden roten Listen bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Bei der Veranstaltung geht es um eine andere bedrohte Art – auch wenn die sprachliche Nähe gewollt ist. Denn der drohende Abriss ganzer Typologie-Arten, von den Nachkriegsbauten bis zum Brutalismus der 60er/70er-Jahre, ist nicht weniger beunruhigend.

Die Idee zur Ausstellung dieser Bauwerke entstand aus der BDA-Praxis der Kurator⁎innen. „Wir haben da ein Problem: Dieses Gebäude in unserem Kreis soll abgerissen werden, könnt ihr da nicht was machen?“ – Anfragen dieser Art erreichen den BDA regelmäßig aus dem ganzen Land. Entsprechend wurde die Entscheidung getroffen, welche gefährdeten Gebäude schließlich gezeigt wurden: Das Kurationsteam fragte in allen Kreisgruppen an, um nicht nur die bekannten „alten Giganten“ abzubilden. So zeichnet die Ausstellung schließlich ein breites Bild vom stark gefährdeten Lörracher Rathaus bis zum Akut-Notfall Landratsamt Karlsruhe und vom gefährdeten Sozialarchitektur-Kulturdenkmal Pflegeheim Ringelbach in Reutlingen bis zum positiv-Beispiel Trinitatis-Kirche in Mannheim, die nach einem mehrstufigen Ideenwettbewerb in eine Spielstätte für zeitgenössischen Tanz umgewandelt wurde.

Entgegen der Schwere des Themas und viel dahintersteckender Theorie, die im Austausch mit Initiativen zur Bauwende erarbeitet wurde, ist die Ausstellung eingängig und entlässt mit Tatendrang. Das liegt auch am gelungenen Ausstellungsdesign im Protestplakate-Stil, das eine aktivistische Ebene hinzufügt. Weil die Fülle des Themas, trotz radikaler Beschränkung auf acht Gebäude, nicht in eine Ausstellung gepasst hat, gibt es eine begleitende Publikation, in der sich Standpunkte zu Gebäudeerhalt und Abrissmoratorium sowie Hintergrundinformationen zu den exemplarisch gezeigten „gefährdeten Arten“ nachlesen lassen.

Die Gretchenfrage, warum diese Gebäude selbst in „Bauwende-Zeiten“ weichen müssen, wird schließlich bei der Eröffnung adressiert. Jan Theissen meint, sie seien deshalb oft so unbeliebt, weil sie in einer Zeit entstanden sind, mit der wir uns heute nicht mehr identifizieren können. Ob wir uns das vor dem Hintergrund eines geforderten Abrissmoratoriums noch leisten können, ist die Fragestellung, die die Ausstellung bei vielen Besucher⁎innen aufwirft. Die Brisanz des Themas ließ sich auch bei der gut besuchten Vernissage erkennen, die mehrere Generationen von Architekturschaffenden in den zum Platzen gefüllten BDA-Wechselraum lockten. Die Ausstellung soll im Anschluss auf Wanderschaft gehen.

Vera Krimmer