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Nachruf für Ehrenmitglied Prof. Mike Wilkens (1935 – 2023)

17. Mai 2023

Weggefährten haben ihn als wachen, kritischen, aber auch stets emphatischen Menschen erlebt. Und das waren nicht wenige. Er hat viele Studierende, Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen geprägt, war herausragender Hochschullehrer, verantwortungsbewusster Architekt, engagierter Bürger und im Übrigen auch ein großartiger und humorvoller Zeichner.

Mike Wilkens hat nach dem Abitur erst einmal eine Tramptour durch Asien bis Japan unternommen. In Karlsruhe unter anderem bei Egon Eiermann studiert, bei Paul Baumgarten gearbeitet. Als Ungers an die TU Berlin berufen wurde, hat er sich dort eingeschrieben – und dennoch bei Paul Baumgarten weitergearbeitet. Das zeigt nicht nur wie neugierig er war, sondern vor allem die geistige Unabhängigkeit, die ihn auszeichnete.
Er hat unter anderem am Berliner Reichstag, der Mensa Tübingen und dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mitgearbeitet. Über eine Anstellung bei der Flughafen Frankfurt-Main AG hat er in Amtshilfe den internationalen Wettbewerb um die Altstadt von Karlsruhe mit vorbereitet, eines der Initialprojekte für behutsame Stadterneuerung.
1974 wurde er an die damalige Gesamthochschule Kassel berufen und hat den Studiengang „Architektur, Stadtplanung und Landschaftsplanung“ mit aufgebaut, der in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiert. Die Arbeitsgruppe Stadt/Bau, die er 1978 gründete, wurde 1980 zur documenta urbana eingeladen. Aus diesem Fundament gingen 1981 die Baufrösche hervor; bis heute ist das Büro bekannt für seine humanistische Verpflichtung, Verantwortung gegenüber Stadt und Umwelt zu übernehmen und auf unkonventionelle Art Architektur zu verstehen. Der Name des Büros drückt aber auch aus, dass es nicht um Personen, sondern um ein Kollektiv geht: Architektur war und ist immer Gemeinschaftsarbeit.

Ein Winkel von 89 Grad war Wilkens lieber als ein rechter, denn damit sicherte er sich jene Freiheit, die durch Dogmen und vermeintliche Sachzwänge eingeengt wird, von der sich – und schon gar in vorauseilendem Gehorsam – beherrschen zu lassen, ihm nicht in den Sinn kam.
Lebendiger, bezahlbarer Wohnungsbau sind wichtiger als Hochglanzarchitektur – das war seine andere Überzeugung. Architektur war ihm immer Dienst an der Gemeinschaft, Gemeinschaftsräume, nutzbare Stadträume, sind ihm wichtig gewesen. Beispielhaft hierfür, das mit dem Deutschen Städtebaupreis und dem Bayrischer Wohnungsbaupreis ausgezeichnete Kreuzgartenviertel in Nürnberg (1987, Baufrösche in Zusammenarbeit mit Steidle + Partner und der Werkgemeinschaft Freiraum). Dieses schreibt sich dem historischen Stadtgrundriss neu ein, lässt dabei aneignungsoffene Stadträume entstehen und greift mit einer modernen Architektursprache den historischen Kontext in Maßstab, Struktur und Materialität auf. Einen anderen Schwerpunkt setzten die Selbsthilfe-Projekte in Dietzenbach und Kassel (1983), bei denen die Einbeziehung der Nutzer*innen nicht nur deren Wünsche und Bedarfe berücksichtigen, sondern auch die preiswerten Wohnraums zu erstellen erlaubte, ohne je billig zu wirken. Dafür waren die Unterhaltungskosten ebenso wie die Erweiterbarkeit von Anfang an mitgedacht. Unzählige weitere Wohnbauprojekte zeugen von der den Nutzer*innen und Bewohner*innen zugewandten Haltung, die das Werk des Büros Baufrösche bis heute prägt.

Eine besondere Bedeutung hatte für ihn das Berliner Stadtschloss. Hatte er über die Schlossattrappe zunächst gespottet, hatte ihn das Eins-zu-Eins Modell der Kulisse des ehemaligen Schlosses „wie ein Blitz getroffen. Ich war – ja ich muss es so sagen: Ich war tief gerührt. (…) Plötzlich erhielten alle diese anscheinend zusammenhangslos dastehenden Gebäude wieder ihren festen Platz im Stadtgefüge. (…) Hier zeigt es sich wieder, dass es sich mit der Wahrheitsmoral in der Architektur nicht so einfach ist. Die Geschichte ist wichtiger Teil unserer Wirklichkeit. Sie hat uns, unsere Wirklichkeit gemacht, erzeugt.“ schrieb er im 2010 herausgegebenen Bauwelt-Fundamente Band „Architektur als Komposition: 10 Lektionen zum Entwerfen“. In einer Überarbeitung des Wettbewerbsbeitrags von 1994 wurde 1998 eine Geschichtsbaustelle als „Work in Progress“ gefordert, eine Symbiose von Palast und Schloss vorgeschlagen.

Wilkens ging es immer auch um die Praxis, die ihm die wichtige Fundierung für alles Bauen lieferte – und etwas zu tun, war ihm auch darüber hinaus wichtig. Deswegen hat er 2005 eine Stiftung gegründet, die Mach-Was -Stiftung, um in Kasseler Stadtteilen und Quartieren wohnungsnah kulturelle Beschäftigung für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen zu ermöglichen und zu unterstützen. Dabei geht es im Besonderen um Menschen, die aufgrund ihrer Wohn- und/oder ihrer sozialen Situation nicht über die dazu nötigen Flächen, Räume und Ausstattungen verfügen. Damit wurden Projekte wie der Nachbarschaftsgarten in Kassel Forstfeld oder der Werkhof in der Unterneustadt als Begegnungsort umgesetzt.

Mike Wilkens war seit 1992 Mitglied im BDA Hessen und wurde 2019 zu dessen Ehrenmitglied berufen. Am 5. März 2023 ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.