Themen

, , , ,

ARCHITEKTURWOCHEN NRW 2023 – Zukunft Wohnen Bestand

25. Oktober 2023

„Zweites Leben, erste Wahl“ war das Motto, mit dem sich die Architekturwochen des BDA NRW dem Bestand widmeten, in diesem Jahr insbesondere dem Wohnungsbau. Hält man sich vor Augen, dass über die Hälfte allen deutschen Abfalls vom Bauen und Abbruch stammt, dann ist der sorgfältige Umgang mit Ressourcen nicht nur die erste, sondern sogar die einzige Wahl. Ansätze und Vorschläge dazu gibt es viele, doch die Hürden in die Praxis sind immer noch hoch. Wo wir in NRW auf dem Weg von der Neubau- zur Umbaukultur stehen, reflektierten verschiedene Beiträge der regionalen BDA Gruppen.

Katalysator für Innovationen

Das BDA Gespräch zum Auftakt der Reihe stieg über Grundsatzfragen in das Thema ein und beschäftigte sich mit der Freiheit des Individuums, die gegen einen Wandel unseres Lebenswandels immer wieder ins Feld geführt wird. Jean-Pierre Wils lehrt Philosophie in Nijmegen und machte deutlich, dass Freiheit nicht immer schon einfach da war, sondern ausgehandelt und errungen werden musste. Wenn wir sie nicht zugunsten einer global verträglichen Lebensweise neu justieren, werden existenzielle Zwänge uns die Veränderungen diktieren.
Wie eine solche Neuausrichtung im realen Leben aussehen könnte, erprobt Stadtplanerin Susanne Grillmeier bei der Sanierung der Großwohnsiedlung Neuperlach in München. Zusammen mit den Bewohner/innen arbeitet sie an einem „Update“ des Stadtteils, gefördert vom New European Bauhaus mit dem Ziel, prototypische Maßnahmen, die sich hier entwickeln lassen, auf vergleichbare Stadtstrukturen zu übertragen.
Axel Humpert, Architekt aus Zürich, sieht neue Freiheiten im Umgang mit dem Vorhandenen. Gerade die große Masse gesichtsloser Alltagsarchitektur zwinge dazu, so Humpert, aus Konventionen auszubrechen und Neues zu entwickeln. Im Gegensatz zum Neubau erlaube der Bestand „viel aggressiver die Grenzen der Normen und Gesetze zu testen.“ In seiner Sichtweise ist der Bestand für das Bauen auf allen Ebenen ein Katalysator von Innovationen.

©büroluigs
©büroluigs
BDA Gespräch zum Auftakt der Architekturwochen | © büroluigs

Auch der BDA Aachen fragte nach der „Realität des Möglichen“, nach Prozessen und Denkweisen, die hinter baulichen Transformationen stehen. Der Architekt Sebastian Multerer aus München schilderte, wie er die „Realreibung“ aktiv im Planungs- und Entwurfsprozess nutzt, indem aus konstruktiven Herausforderungen oder einer restriktiven Gestaltungssatzung spannende Gestaltungselemente entstehen.

Ein ähnliches Denken war auch bestimmend für den experimentellen, ressourcensparenden und sozial orientierten Wohnungsbau von Inken Baller und Hinrich Baller, die den Großen BDA-Preis 2023 für ihr gemeinsames Werk erhielten. „Es ist am wirtschaftlichsten, wenn die Stütze auch was tut und sich an der Finanzierung beteiligt.“ So kommentierte Hinrich Baller wie unkonventionelle Grundrisse und Ressourcenoptimierung in ihrer Arbeit zusammenfanden.

Auf den Weg gebracht  

Andere Gruppen zeigten aktuelle Praxisbeispiele. Die Pläne für die ehemalige Bonner Poliklinik stellten Nikolaus Decker von BauWerkStadt Architekten und Tim Geldmacher vom Projektentwickler Revitum vor. Auf dem Gelände der einstigen Augenklinik von 1900 und der Erweiterung aus den 60er Jahren sollen eine Kita und mehr als 80 Wohnungen und ca. 150 Studierendenapartments entstehen, teils gefördert, teils frei finanziert.

Ebenfalls Zukunftsmusik gibt es im rechtsrheinischen Deutzer Hafen in Köln, den der BDA NRW mit dem Rad erkundete. Knapp 38 Hektar Planungsfläche liegen zentral am Rheinufer mit Blick auf den Dom! Die Stadt Köln verdiente sich schon mit der Planung das DGNB-Vorzertifikat in Platin. Den Integrierten Plan erarbeitete die Stadt mit dem Büro Cobe aus Kopenhagen. Historischen Baubestand gibt es wenig im Hafen; zwei Getreidemühlen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Nachkriegszeit massiv umgebaut, stehen unter Denkmalschutz und warten nun auf ihr zweites Leben in einem gemischt genutzten Quartier.

Radtour im Deuter Hafen in Köln | © Barbara Schlei

In Münster stand die 170 Jahre alte JVA in Münster auch in diesem Jahr wieder auf der Tagesordnung. Eine Ausstellung in der Münsteraner Stadthausgalerie zeigte studentische Entwürfe zum Umgang mit der sternförmigen Anlage. Doch noch ist die Zukunft des „ältesten Reformknasts in NRW“ ungewiss, wie ein gemeinsamer Diskussionsabend mit der Stadt Münster, dem BLB NRW als Eigentümer:in und der Denkmalpflege zeigte.

Eine Radtour zu Dortmunder Baugruppen führte zu vier Projekten des Vereins W.I.R. in Dortmund: Die Buchstaben stehen für „Wohnen innovativ realisieren,“ aber auch für das Wir-Gefühl in den zumeist genossenschaftlich organisierten Häusern. Drei Projekte sind bereits realisiert, während „WIR auf’m Revier“, eine ehemalige Polizeiwache von 1968, derzeit vom Büro post welters + partner zu 23 Wohnungen umgebaut wird, von denen 40% gefördert sind.

Im Stadtkontext

Der Workshop Zukunft findet Stadt des BDA Köln war die zweite Auflage einer Vortragsrunde von 2022 und als Diskussionsforum zu drei Themen angelegt: In Sachen „Wohnen“ fragten die Diskutanten nach den Spielräumen für Wohnformen in einem umkämpften Segment. Zum Thema „Raum“ wurde die Notwendigkeit gesehen, bei Projekten für den ökologischen Umbau der Stadt zu mehr Verbreitung zu kommen. Und schließlich wurde unter dem Titel „Partizipation“ über konkrete Vorschläge zur besseren Organisation der Beteiligungsprozesse an urbanen Vorhaben diskutiert.

Stadtspaziergang in Düsseldorf | © Beatrix Mohri-Diedrich

Düsseldorf lieferte ein „Update Nachhaltigkeit 2.0“ bei einem Stadtspaziergang. Stationen waren das von RKW zum Kulturzentrum umgebaute Hauptpostamt und das Horten Kaufhaus aus den 50er Jahren, das als „The Crown“ heute wieder Konsumenten anzieht. Von einem von Jürgen und Florian Geddert sanierten Geschäftshaus in der Berliner Allee 26 aus den 50er Jahren ging es zum Behrensbau am Rheinufer, für den Concular einen Katalog zur Wiederverwendung von Bauteilen erstellt haben. Paul Schneider-Eslebens Commerzbank-Erweiterung aus den 60er Jahren wird nach dem Umbau durch HPP als Hotel genutzt.
In den „Zwischenakten“ präsentierte Christa Konzok als Guide die Stadt selbst als Akteur in Sachen Klimaschutz, der vielfältige Maßnahmen vom Flechtenmonitoring über Zukunftsbäume zu Rasengleisen bereits umsetzt.

Und dieses Überraschungsmoment, doch mehr vorzufinden als erwartet, prägt auch die Architekturwochen NRW 2023 insgesamt: „Zweites Leben, erste Wahl“ wird wohl noch lange eine Beschwörungsformel bleiben, aber wir sind auf dem Weg.

Text: Ira Scheibe