Foto: Anne Schlebbe & Sebastian Wattenberg

Preisträger Daniel Gössler Belobigung 2016

Anne Schlebbe & Sebastian Wattenberg – Wohnen als Wagnis

Foto: Anne Schlebbe & Sebastian Wattenberg

Anne Schlebbe & Sebastian Wattenberg – Wohnen als Wagnis

Projekt
Wohnen als Wagnis

Wohnen als Wagnis

Hybride Wohnformen und die Taktiken der Aneignung

Die Entwicklung neuer Wohnformen begleitet den gesellschaftlichen Wandel. Aktuelle Phänomene, wie die räumliche und zeitliche Entgrenzung sowie die Pluralisierung und Individualisierung beeinflussen den Alltag und nicht zuletzt auch persönliche Wohnpraktiken. Auf diese Weise entstehen Wohnmodelle, die zu großen Teilen weder herkömmliche Wohntypologien nutzen noch im Geltungsbereich sozialer Schutzvorschriften des Wohnmietrechts einzuordnen sind. Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit ist die Untersuchung von Taktiken der Raumaneignung, die von Bewohnerinnen und Bewohnern selbstverantwortlich entwickelt und praktiziert werden. Es werden niederschwellige Wohnkonzepte in Berlin analysiert, die sich nicht ausschließlich der privaten Sphäre des Wohnens zuweisen lassen, sondern zugleich kommerzielle oder kulturelle Angebote schaffen. Mangelndes Eigenkapital oder geringe laufende Kosten werden in Eigenleistung der Bewohner und Bewohnerinnen ausgeglichen. Im Rahmen von Fallstudien werden daher neben den Wohntypologien ebenso Vertragsformen aufgezeigt, welche die Wohnsituation reglementieren. In Bezug auf den Diskurs über Wohnraummangel in Großstädten werden hier Abweichungen von Schutzbestimmungen des Wohnmietrechts oder der Widerspruch zur lokalen Gesetzeslage im Besonderen berücksichtigt. Gemäß der theoretischen Konzeption wird ein qualitativer Forschungsansatz verfolgt. Für die Erhebung der alltäglichen Taktiken werden einzelne Bewohner und Bewohnerinnen interviewt. Desweiteren wurden die Befragten gebeten, ihre persönliche Wohnsituation unter Vorgabe von Leitmotiven fotographisch zu dokumentieren. Die jeweilige Vertragslage und Wohnarchitektur innerhalb des städtischen Umfeldes resultiert schließlich in spezifischen ökonomischen und architektonischen Rahmenbedingungen, die den Handlungsspielraum der Aneignung beschreiben. Ein Handlungsspielraum, der nicht zuletzt auch von Architektinnen und Architekten maßgeblich geschaffen und gestaltet wird.

Preisträger

Daniel Gössler Belobigung 2016

In dieser kollektiven Arbeit wird in bemerkenswerter Weise, eine originelle und ambitioniert angelegte
Forschung zu hybriden Wohnformen vorgestellt. Durch intensiv recherchierte und dokumentierte
Fallbeispiele untersuchen die Autoren Wohnformen, die von ihren Bewohnern aus einer finanziellen
Notwendigkeit oder einer gesellschaftspolitischen Haltung gewählt wurden, die sich aber nicht
ausschließlich der privaten Sphäre des Wohnens zuweisen lassen, sondern zugleich kommerzielle
oder kulturelle Angebote schaffen.
So wie die Protagonisten dieser Forschungsarbeit, die selbstverantwortlich Taktiken entwickeln
müssen, um teilweise außerhalb des Geltungsbereichs sozialer Schutzvorschriften des
Wohnmietrechts, persönliche Anforderungen an Wohnraum zu verwirklichen, so mussten auch die
Autoren dieser Arbeit ein gewisses Wagnis eingehen, um die disziplinären Grenzen der Architektur auf
Fragestellungen und Methoden der Sozialforschung und Stadtpolitik zu erweitern, und die
ökonomischen und architektonischen Rahmenbedingungen, aber auch die Vertragsformen, die diese
Wohnsituationen reglementieren, zu untersuchen.
Denn die Untersuchungen zu im gegenwärtigen Berlin aufgefundenen Wohnformen, die von
Wagenburgen, Ladenwohnungen, privaten Wohnungsvermietungen und Hauswächtern reichten,
haben in ihrer spezifischen vertiefenden Nachforschung und Dokumentation ein Konvolut von Fragen
und Dokumenten erzeugt, die wiederum zu neuen Forschungsfragen, Archivrecherchen und
Expertengesprächen führten und die Objektbetrachtung in einen erweiterten gesellschaftspolitischen
Zusammenhang brachte. In ihrer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den strategischen
Konzepten der Stadt und taktischen individuellen Bewegungsmustern des Alltagslebens, tragen die
Autoren nicht nur zum aktuellen Diskurs über den Wohnmangel in Berlin bei, sondern sie beschreiben
auch den Handlungsspielraum, der nicht zuletzt auch von Architekten und Architektinnen maßgeblich
geschaffen und gestaltet wird.
Als besonders überzeugend empfand die Jury die konzeptionelle Gesamtgestaltung der Arbeit, die
komplexe Sachverhalte, Bildmaterial, Interviewmitschnitte und persönliche Auskünfte verständlich
darstellt und dabei auch die Neugier auf die Forschung zur Architekturgeschichte und Theorie bezeugt.

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